Ursula Lindemann an Lotti, 7. September 1943
Köln, den 7.9.1943.
Meine liebe Lotti,
heute erhielt ich Deinen langen Brief, in dem Du mir so viel von Deinem Leben in Dresden erzähltest. Ich freue mich ja sehr, daß Du Dich in Deiner neuen Tätigkeit so glücklich fühlst. Daß Du schon selbst ein E.K.G. machen mußtest, finde ich einfach großartig. Wieviel wirst Du wohl dort dazu lernen, sicher kommst Du als Frl. Doktor zurück und kannst uns alle verarzten.
Ich bin nun schon eine Woche bei der Post angestellt. Zuerst hatte ich nur In-
nendienst, und mußte Post sortieren, adressieren und nachsenden. Es war sehr viel Arbeit, denn durch die Angriffe ist die Post sehr in Unordnung geraten.
Nun bin ich inzwischen schon Briefträgerin geworden und wandere auf dem Hansaring von einem Haus zum anderen, um meine vielen Briefe los zu werden. Es ist ziemlich schwierig, denn ich habe jeden Morgen allein über 50 Einschreiben auszuteilen. Und da muß ich sehr aufpassen, daß ich keinen Schein verliere, sonst bekäme ich die größten Unannehmlichkeiten. Ich komme mir mit meiner neuen Würde recht seltsam vor, und sie macht mir sehr viel Spaß. Überall heiße ich das neue Postfräulein, und
alle Leute sind sehr freundlich zu mir u. wollen mir helfen damit ich mich bald gut auskenne. Aber das ist garnicht mehr nötig, ich weiß jetzt genau überall Bescheid. – Heute ist mir allerdings etwas recht Unangenehmes passiert. Ich mußte einem Herrn --- ein Einschreiben mit Nachgebühr bringen, und da gab er mir 0,60 M Trinkgeld, indem er sagte: „Ja, ja mein Frolleinche, dafür, daß Sie so hoch die Treppen steigen mußten.“ Ach, Lotti, ich kann Dir garnicht sagen wie peinlich mir das war. Aber er ließ sich nicht davon abhalten, und so mußte ich es schließlich annehmen.
Mein Dienst fängt Morgens um halb 8 an und bis halb 2 muß ich Post austra-
gen, danach muß ich noch im Postbuch alles eintragen, und so bin ich meistens um 3 oder halb 4 zu Hause.
Ab Morgen habe ich Bahnhofdienst und muß von Morgens 7 bis Abends 8 Uhr auf dem Bahnhof meinen Einsatz machen.
Ich bin sehr gespannt wie das wird. In 14 Tagen beginnt dann für uns wieder die Schule, und zwar haben wir wieder jeden Tag Unterricht. Wir haben für die Zwischenzeit so viel Hausaufgaben aufbekommen, daß ich nicht weiß wie ich das alles schaffen soll. Meistens sitze ich spät abends noch daran bis um halb 11 oder 11 Uhr Alarm kommt. Wir haben immer noch viel Alarm, fast jede Nacht 1-2 mal. – Mutti u. ich sind
heute in großer Sorge, denn Vater ist in München und diese Nacht war doch der schlimme Angriff. Hoffentlich bekommen wir bald Nachricht von ihm.
Gisela hat ja auch den Angriff auf Mannheim mitgemacht, es wird gewiß wieder sehr ungemütlich gewesen sein, da sie ja ganz allein im Häuschen war. Deine Mutter ist noch in Köln, denn sie hat noch allerhand hier zu regeln. Eure Wohnung ist nun ganz ausgeräumt, und die neuen Leute wohnen schon drinnen. Mir kommt das alles noch ein wenig fremd vor, und darüber freuen tu ich mich wirklich nicht. – Samstag kam ganz unerwartet Klaus, er darf ja wieder aufstehen, und so hatte er Sonntagsurlaub be-
kommen. Wir waren alle sehr froh u. Klaus u. ich haben viel miteinander musiziert. – Stell Dir vor, die Gürzenich Konzerte werden doch wieder gegeben, allerdings im Opernhaus, außerdem werden noch 4 Beethovenkonzerte mit 8 Sinfonien und 4 Ouvertüren gegeben. Ich freue mich sehr darüber, nur ist es schade, daß Ihr nicht da seid und auch abonnieren könnt. -
Ich muß jetzt leider schließen, es wird mir zu spät, denn morgen heißt es um halb 6 Uhr aufstehen, und das ist doch reichlich früh.
Sei für heute recht lieb gegrüßt von
Deiner Ulla.
Adresse von Herrn Küchle:
Eugen Küchle
Weiden/Oberpfalz
Oberschule f. Jungen