Ursula Lindemann an Lotti, 6. Juli 1943

Köln, den 6.7.43.

Meine liebe Lotti!

Da ich gerade etwas Zeit habe, möchte ich Dir schnell schreiben. Wir haben wieder einen schweren Angriff hinter uns, der hauptsächlich auf die Vororte Kalk, Buchforst, Bayenthal, Marienburg und Rodenkirchen konzentriert war. So arg war es auch nie, und wir haben noch nie solch eine Angst gehabt wie vorgestern Nacht. Es folgte Einschlag auf Einschlag. Wir hockten alle im Keller auf einem Bett, und Mutti und ich drückten einen Daumen. Durch Zufall steht unser Haus noch. Im Garten lagen viele Brandbomben, eine ist durchs Dach geschlagen, und ein Kanister. Bei Meißner hat es drinnen gebrannt und die Garage ist vollkommen ausgebrannt, wird aber schon wieder von 10 Soldaten aufgebaut. – Im BDM. uns gegen-

über hat es ein wenig gebrannt, aber Herr Teschendorf, Herr Hertling und wir konnten es noch rechtzeitig löschen, sonst wäre dieser Riesenkasten auch eine Ruine. Leider ist unser Grundstück von 2 schweren Luftminen völlig zerstört. Kein Obstbaum steht noch – es ist eine große Sandwüste. Gestern habe ich es mir einmal angesehen, und bin ohne es zu bemerken über 2 Blindgängertrichter gegangen, die danach entdeckt wurden. Neuerdings gehen wir jetzt des Nachts in einen Privat Bunker bei Raths in dem abgebrannten Haus, der bedeutend sicherer als unser Keller ist. Mutti weckt uns immer um 12.15 Uhr, dann ziehen wir uns an und schlafen weiter bis Alarm kommt und wir in den Bunker gehen müssen. Ich finde das entsetzlich, und ich glaube lange werden wir dies nicht mehr aushalten. Aber der Schrecken liegt uns allen noch zu sehr in den Gliedern. Leider haben Helene und Elfriede ver-

sagt und wollten am anderen Tag gehen. Mutti hat sich darüber wahnsinnig aufgeregt, aber zum Glück hat Vater ihnen gut zugeredet, so daß sie vorläufig bleiben. – Unten bei Herbert in der Wirtschaft ist wie immer eine Sprengbombe reingefallen. Unser Haus hat natürlich alle Fenster entzwei, die Türen sind raus und in der Garderobe besteht die Möglichkeit, daß die Decke einstürzt. Wir haben unser Haus sehr geräumt, der 2. Stock ist ganz leer und unten haben wir die Teppiche rausgeholt. – Stell Dir vor, Helenes Verwandten, die doch völlig fliegergeschädigt sind und alle 10 Mann hoch bei uns ein Unterkommen gefunden hatten, sind am Donnerstag von einer Verwandten nach den Buchforst abgeholt worden und sind nun wieder ganz obdachlos. Wir haben sie jetzt von Köln weggebracht. Wir haben jede Nacht Alarm, und des Tags sind Aufklärer da, die meistens auch noch 2-3 Bomben abwerfen. Wir sind es alle satt, und das Schlimmste

ist, die Eltern können nicht mehr, sie sind völlig erschlagen. Ich mache mir große Sorgen um sie, - und wie das überhaupt noch weitergehen soll. Ich habe heute schon bittere Tränen vergossen, denn es heißt, daß die Schulkinder weggeschickt werden sollen, so für ein halbes Jahr oder länger, und ich mag hier nun mal nicht fort. Da macht man sich doch nur unnötig viele Sorgen um zu Hause, und das täte ich gewiß. Ich kann bestimmt nicht froh und unbekümmert sein, wenn die Eltern täglich in Gefahr sind. Und anderenteils, was soll aus uns werden, wenn keine Schulen zur Verfügung da sind. Ich bin wirklich sehr verzweifelt. Von Dir habe ich nun schon sehr lange keine Post mehr, denn die Post ist ja alle verbrannt. Hast Du meine beiden letzten Briefe erhalten? Ich glaube sie waren vom 29.6. und 2.7. Jetzt muß ich gleich los und Wasser holen. Es sind wirklich dolle Zustände in Köln, wir

haben über eine Woche kein Wasser, kein Gas und kein Licht. Es fahren in ganz Köln keine Bahnen, und so ist man auf seine Räder oder auf die eigenen Füßen angewesen. Es ist ein Glück, daß unten am Rhein ein Hydrant angebracht ist, und man nicht ganz aufgeschmissen ist.

Gestern Nacht ist Hans ganz überraschend gekommen. Er holte mich natürlich mit Steinen, die er an mein Fenster warf, aus dem Bett. Klaus liegt bei Königswinter im Lazarett, und sein Zustand ist immer noch der gleiche.

Kommt Deine Mutter nun nach Köln? Ich würde ja sehr gerne Ende Juli mal kurz zu Euch kommen, aber man weiß ja noch garnicht wie sich alles entwickelt. - Hoffentlich ist diese Nacht kein Alarm, denn wir hätten alle mal eine ruhige Nacht nötig, wir sind zu müde. Deiner Mutter und Gisela bitte viele Grüße, und Dir alles gute Deine Ulla. Ich schreibe heute so komisch, aber das liegt an dem Füller, den ich habe. – Toll gerade im Moment geht das Licht an, das ist eine riesige Erleichterung.