Ursula Lindemann an Lotti, 7. Mai 1944

Köln, den 7.5.44.

Meine liebe Lotti,

Eben bin ich nach Hause gekommen und will Dir nun schnell erzählen, daß ich vorhin Glück hatte.

Du sitzt nun im Zug und ratterst immer weiter und weiter wieder von Köln weg.

Es ist nicht schön daran zu denken, daß Dein kurzes Hiersein wieder einmal vorbei ist. Aber schön war es, Dich wieder gesehen zu haben, - nur der Abschied nachher ist immer so traurig und schwer. -

Hoffentlich hast Du inzwischen einen guten Sitzplatz bekommen und frierst nicht zu arg, damit Du ein wenig schlafen kannst nach dieser unruhigen Nacht. Und vor allem habe ich Angst, daß Du unterwegs

Alarm bekommen könntest. Ich habe schon alle Luftlagenmeldungen abgehört, und vorläufig sind Verbände über Nordwestdeutschland. -

Aber nun sollst Du hören, wie es mir auf dem Bahnhof ergangen ist. -

Als ich Dich allein ließ und recht betrübt runter lief, dachte ich schon garnicht mehr an die Schwierigkeiten, die mir noch bevorstanden, und erst vor der Sperre viel es mir wieder ein. Ich versuchte mein Glück und ging möglichst harmlos durch die Sperre. Zuerst schien es gut zu gehen, aber da wurde ich doch noch zurückgerufen. Der Beamte fuhr mich sehr grob an. Aber ich sagte ihm kurz, wie es sich verhalten hatte. Na, er ließ sich nicht besänftigen, sondern brummte was von 30.- M Strafe usw, und schickte mich zum Schalter 38, den ich aber nirgends fand. – Etwas besorgt war ich ja nun doch und ging zum Hauptausgang, um dort

mein Heil zu versuchen. Dort wies mich der Beamte ebenfalls zum Schalter 38. Und nun fand ich ihn auch. Eine Dame, die in der selben Verlegenheit war wie ich, bat mich, für sie auch eine Bahnsteigkarte zu nehmen. Das tat ich dann auch, allerdings mit etwas Herzklopfen. Aber alles ging blendend, und aus den 30.- wurden 0,15 Pf. Nachher war die Dame nicht mehr da, und ich stand mit den 2 Bahnsteigkarten da, von denen ich die eine für Deinen nächsten Besuch hier aufheben werde, um dann beruhigt von Deutz mit nach Köln fahren zu können.

Als ich nun aus dem Bahnhof kam, eilte eine schrecklich aufgeregte Dame auf mich zu und bedrängte mich mit einem langen Redeschwall, ich solle mit ihr in den nächsten Bunker gehen, die heutige Jugend müsse so viel Schreckliches erleben und ich müßte mich unbedingt in Sicherheit bringen. –

Da stand ich nun, vollkommen verdutzt und verblüfft und hatte keine Ahnung was überhaupt los war. Schließlich stellte sich heraus, daß Voralarm war und die Dame, die scheinbar große Angst hatte, mit mir in den Bunker wollte. Ich brachte sie also brav hin, ging dann aber schnell runter zum Rhein und verpaßte natürlich die 14. -

Doch etwas durchgefroren kam ich hier um 10.30 Uhr an, und fand das ganze Haus, außer Helmie noch im tiefsten Schlafe vor.

Eben hab ich Deine Mutter angerufen und ihr Bescheid gesagt, daß Du verhältnismäßig gut weggekommen bist. -

Hoffentlich hast Du Dir jetzt nur keine Erkältung geholt und kommst ohne Zwischenfälle gut in Heidelberg an.

Leb wohl meine liebe Lotti, hoffentlich vergeht die nächste Zeit bis zu Deinem Wiederkommen recht, recht schnell.

Sei recht herzlich gegrüßt und nimm einen lieben Kuß von Deiner Ulla.