Ursula Lindemann an Lotti, 11. September 1944

Köln, den 11.9.44.

Erh. 22.9.

erl. 22.9.

Meine liebe Lotti!

Nun werde ich Dir nicht mehr so oft schreiben können, da ich ja jetzt wieder im Einsatz bin. Heute habe ich in der Rüstung angefangen. Es war ganz interessant und nicht all zu anstrengend. Wir brauchten heute nur 5 Stunden arbeiten, aber morgen müssen wir von 7 Uhr bis abends 19.30 Uhr an der Maschine unseren Mann stehen. Ich habe dolles Glück gehabt und brauche nicht am Ofen arbeiten, sondern kann eine Maschine bedienen. Wir drehen Granaten, das aber eigentlich nicht weitererzählt werden darf. Aber ich kann mit Deiner „Verschwiegenheit“ rechnen, nicht wahr?! Auch sonst werden noch recht geheimnisvolle Dinge gemacht! Die Arbeit an der Maschine ist recht kompliziert, und ich bin ganz stolz, daß man mich an dieses Ungetüm ranläßt. Ich habe mir schon mehrmals die Hände verbrannt und auch aufgerissen. Aber es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen und ich werde schon mit meiner Maschine fertig werden. Im Maschinenraum, wo ich als einzige beschäftigt bin, ist ein ohrenbetäubender Lärm. Man kann sein eigenes Wort nicht verstehen. Anfangs war ich ganz entsetzt darüber, aber man hat sich schnell daran gewöhnt. Wir haben 3 Pausen. Um 9 Uhr und um 16 Uhr eine viertel Stunde und mittags von 12.15 U bis 12.45. Wie ich es mit dem Mittagessen machen

soll, ist mir noch schleierhaft, da es keine Kantine gibt und weit und breit keine Wirtschaft mehr ist. Bei Vollalarm gehen wir nur in den Keller, (der nicht sehr gut ist,) wenn es brenzlig wird. Voralarm wird überhaupt nicht beachtet. Den Eltern ist es nicht sehr recht, daß wir nun doch 11 Stunden arbeiten müssen, aber ich finde es garnicht so schlimm. Wenn die anderen es doch können, warum sollen wir dann nicht auch mal ordentlich zupacken. – So, jetzt weißt Du alles über den neuen Einsatz.

Am 21.3. werde ich nun nicht nach Bensberg fahren können. Ich will versuchen mal Samstags, wenn wir um 12.15 „Feierabend“ haben, anschließend nach Bensberg zu fahren und, wenn die Zeit noch reicht auch Maria besuchen. – Eben sind hier 250 deutsche Jäger rüber geflogen. Heute morgen war auch wieder wahnsinnig lange Vollalarm.

Nun muß ich Dir noch etwas schrecklich Trauriges erzählen. Mein kleines Hänschen ist diese Nacht gestorben. Wahrscheinlich war irgend etwas falsches im Futter, was ihm nicht bekommen ist. Ich habe eine schreckliche Angst um Euren Hansematz. Vorläufig ist er noch ganz munter und er singt noch recht eifrig. Ich habe gleich das Futter untersucht und alle guten Körner herausgelesen. Vorhin habe ich mein armes Hänschen und noch ein Huhn, daß auch ganz plötzlich gestorben ist, begraben.

Hast Du irgend etwas schon erfahren, was nun aus Euch Studentinnen wird? Hoffentlich könnt Ihr wenigstens noch Euer Notexamen machen. – Ich muß nun schnell schließen, denn ich muß noch meinen blauen Arbeitsanzug für mich passend nähen. Sei recht lieb gegrüßt und nimm einen lieben Kuß von Deiner Ulla. Grüße bitte Deine Mutter herzlich von mir.