Lotti an Ursula Lindemann, 22. Oktober 1944

Schriesheim, d. 22.10.44.

[an 17.11.]

Meine liebe Ulla,

heute erhielt ich Deinen Brief vom 15.10. für den ich Dir herzlich danke.

Was soll ich Dir auf Deine erschütternden Berichte antworten. Wir denken hier mit großer Sorge bei jedem neuen Angriff an Euch armen Kölner, und ich bin so froh, wenn ich wieder einmal Nachricht habe, daß Ihr alle gesund geblieben seid, aber die Angst und Sorge hören niemals auf, und ich habe nur die eine Hoffnung, daß Du unbeschadet aus all den Schrecken und Gefahren herauskommst, und ich Dich in einer glücklicheren Zeit, in der wir das alles siegreich überstanden haben, wiederfinde. Wir dürfen ja jetzt nicht aufhören, sondern müssen um jeden Preis unser Vaterland aus dieser größten Ge-

fahr retten. Ich glaube fest, daß das Schicksal uns letztenendes beistehen muß.

Eben höre ich im Radio von hunderttausend Freiwilligen, die sich heute zum Volkssturm gemeldet haben. „Unsere deutsche Freiheit“ werden wir uns gegen Tod und Teufel ertrotzen, Ulla! Es tut mir so unsagbar leid, daß ich Euch allen gar nicht ein bißchen helfen kann, und es ist mir furchtbar, so zusehen zu müssen, während Ihr das Schlimmste durchmachen müßt. Vor allem, daß Du, meine liebe, kleine Ulla, in Deinem Alter das alles durchmachen mußt, während es mir hier ja noch so gut geht. Kannst Du nicht mit den Eltern nach Haltern fahren, wenn es so furchtbar jetzt in Köln ist? Wie könnt Ihr denn allein schon ohne Licht, Wasser und Gasen[?] überhaupt noch existieren? Nein, ich kann garnicht sagen, wie sehr mich das drückt,

Euch in Köln zu wissen. Zur Rüstungsfabrik wirst Du jetzt im Augenblick doch sicher nicht gehen? Wahrscheinlich hat [..] sie auch etwas abbekommen. Wie grauenvoll diese Bombenteppiche sind, kann ich mir ungefähr wenigstens vorstellen, weil wir in diesen Tagen den Angriff auf Mannheim miterlebten, bei dem auch 1 ½ Stunden lang Bombenteppiche herunterkamen, daß wir hier oben einen ziemlichen Schrecken bekamen, weil wir solch heftige Explosionen hier oben bisher nicht erlebt haben. Ja, Ulla, ich wünsche Dir und den Eltern nichts heißer, als daß Ihr den Krieg mit seinen furchtbaren Gewalten am Ende ohne noch größeren Schaden und gesund übersteht. Auch daß Hansel u. Klaus gesund wieder zu Euch zurückkommen. Die Lage ist ja seit Wochen so verwickelt, daß oft gar keine Post mehr durchkommt,

weder von hier zur Front noch umgekehrt. Von Hansa kam die letzte Nachricht vom 2.10. Da ging es eben noch gut. Inzwischen hat sich an seinem Abschnitt ja viel abgespielt.

Morgen habe ich mein letztes Examen. Ich kann gar nicht sagen, wie froh ich bin, endlich frei zu sein u. irgendwo mitarbeiten zu können. Ich muß aber abwarten, wohin man mich unterbringt. Bekommst Du eigentlich meine Post? Ich schrieb Dir auf jeden Deiner Briefe zurück. Denk Dir, die beiden ersten Fächer habe ich mit „sehr gut“ gemacht, das dritte morgen fällt aber sicher nicht so gut aus. Ich kann mit meinen Gedanken jetzt nicht mehr so intensiv beim Studium sein.

Viele liebe herzl. Grüße, Ulla; auch den Eltern. Es küßt Dich herzlich

Deine Lotti.