Ursula Lindemann an Lotti, 12. November 1944

Köln, den 12.11.44.

Meine liebe Lotti!

Heute ist ein recht trüber und trostloser Sonntag. Draußen regnet es schon den ganzen Tag sehr heftig, dazu ist es kalt und stürmisch. Die trübe Stimmung ist auch auf uns übergegangen. Vater quält sich mit seinen geschäftlichen Sorgen ab. Es lastet wirklich zu viel auf ihm. Unsere Betriebe in Frechen, Groß Königsdorf und in Neuß lösen sich allmählich alle auf, da keine Leute mehr da sind. Telephonisch kann man nichts mehr erreichen, Fahrgelegenheiten gibt es auch nicht mehr und die Post kommt nicht mehr rein. Das Hauptbüro

hier in Köln steht durch Zufall noch, aber es sind keine Fenster mehr drin und es ist eisig kalt. So sitzt Vater sozusagen alleine noch hier, und daß er verzweifelt ist und sich die größten Sorgen macht, ist verständlich. Gesundheitlich geht es ihm auch garnicht gut. Und dann kommen noch all die großen Sorgen um unsere Zukunft und die Brüder dazu. Die Front hier im Westen scheint ja zu stehen. Um Stolberg sind die Kämpfe scheinbar eingeschränkt worden, denn wir hören kaum noch das Schießen. Aber wie steht es weiter südlich unten in Lothringen und an den anderen Fronten? – Wir wissen kaum, was passiert und wie die Fronten stehen. Wenn wir Glück haben bekommen wir ab und zu mal eine Zeitung, aber das ist leider sehr selten. Von den

Brüdern haben wir keine Nachricht. Wir machen uns die allergrößten Sorgen um beide. Wo mögen sie wohl stecken und wie wird es ihnen ergehen. Auch von Günter wissen wir nichts, und ob Karl-August in Gefangenschaft geraten ist oder nicht, haben wir auch noch nicht erfahren. Es ist alles so schwer und man ist wirklich oft verzweifelt und weiß nicht weiter. Habt Ihr von Hansa Nachricht? Hoffentlich! Ihr macht Euch gewiß auch große Sorgen um ihn. Ich wünsche ihm so, daß es ihm noch gut geht, und daß er gesund wieder nach Hause kommt.

Zu gerne wüßte ich ja, was nun aus Dir, liebe Lotti, geworden ist und wie es Euch allen geht. Ach, so vieles möchte ich fragen, aber was nützt es, ich bekomme Deine Briefe ja doch nicht mehr. Ich bin ich Gedanken so

oft bei Dir und wünsche mir immer sehnlichst etwas von Dir zu hören. -

Ich durfte bis jetzt noch nicht wieder nach Ehrenfeld, und inzwischen hatten wir vorgestern ja auch wieder einen Angriff, der besonders schlimm in Ehrenfeld und Bickendorf war. So habe ich noch keine neue Betätigung, da alles noch viel zu durcheinander und unorganisiert ist. Ich helfe hier zu Hause viel mit, aber ich bin trotz dem viel alleine, und das ist das Schlimmste, denn ich mache mir über alles so viele Gedanken und Sorgen. Ich möchte wieder eine richtige Beschäftigung haben, in der man so ausgefüllt ist, daß man an nichts mehr denkt. Den anderen ergeht es auch so, und heute bei dem grauen, eintönigen Wetter sind wir alle ganz besonders deprimiert und

machen uns unnötig viel Sorgen. -

Heute hatten wir nach langer Zeit einmal einen ganz ruhigen Tag ohne Alarm. Dagegen waren die letzten Tage überhaupt die letzten Wochen voller Unruhe und Aufregungen. – Wir haben alle etwas vor dem Winter Angst.

Dann können wir kein Wasser mehr bekommen und in unserem Haus wird es arg kalt sein. Wir frieren ja jetzt schon so sehr. -

Es schießt plötzlich. Ich hab anscheinend zu früh jubiliert.

Viele gute Wünsche und liebe Grüße

von Deiner Ulla.