Ursula Lindemann an Lotti, 10. Oktober 1943
Köln, den 10.10.43.
Meine liebe Lotti,
Gleich will ich Dir für Deinen so lieben Brief danken, den ich gerade als ich aus der Schule kam erhielt. Heute ist wirklich ein feiner Tag. Zuerst bekomme ich eine gute Französische und Mathematik Arbeit zurück, dann erhalte ich von Dir einen Brief, worüber ich mich immer besonders freue, und 3. gehe ich nachher mit Klaus in die Oper Tiefland. Das sind alles Gründe zum Glücklich sein, und das bin ich auch sehr.
Klaus und Hans sind Montag gekommen, und das haben sie wirklich geschickt gemacht, denn so konnten sie mit ins V. Gürzenichkonzert gehen. Es war wunder-
schön. Das Brahmsche Violinenkonzert D. Dur mit Gerhard Taschner war ganz besonders schön. Du schriebst mir ja schon von Taschner und seinem wunderbaren Können. Und morgen hörst Du ihn ja wieder. Mich hat sein Spiel sehr bewegt, und ich konnte ihm kaum folgen, so beeindruckt einen diese Musik, vor allem das Adagio. Die Brucknersinfonie war uns allen etwas zu wuchtig und schwer. Ich mag Bruckner überhaupt nicht so gerne und kann ihn auch noch nicht so recht verstehen. Auf das 1. Beethoven Konzert am Montag freue ich mich sehr. Es ist schön, daß man uns die Konzerte gelassen hat. Es tut mir nur sehr leid, daß Du nicht dabei sein kannst.
Hans ist nun in Baden-Baden beim Vater, an Muttis Stelle, denn Mutti mag von hier nicht fort, da Klaus noch einmal
länger Urlaub bekommen hat und dann vielleicht an die Ostfront muß. Nun kann Mutti auch dieses Jahr nicht fort, und das macht uns allen Sorgen, denn es geht ihr garnicht gut, die Kopfschmerzen plagen sie immer noch so arg. – Mir geht es wieder blendend, leider bekomme ich noch öfters einen kleinen Rückfall, aber das stört mich nicht weiter. Nur müde bin ich, und dies sind wir alle sehr. Jede Nacht haben wir Alarm, meist 2 mal, und so kommen wir fast immer 2-3 Stunden um unseren Schlaf. Allerdings haben wir etwas sehr Interessantes erlebt. Vorige Woche sind über Köln 3 Flieger des Nachts abgeschossen worden, und einen davon konnten wir fabelhaft beobachten. Er war ungefähr eine viertel Stunde im Scheinwerfer und versuchte immerzu umsonst durch allerlei geschickte Wendun-
gen heraus zu kommen. Schließlich bekam er einen Treffer und begann zu brennen. Zuerst sah man nur, daß er einen kleinen rotgrünen Streifen hinter sich her zog, dann gab es eine entsetzliche Explosion, und es leuchtete ganz rot auf und das Flugzeug stürzte mit einem schrecklich heulenden Ton herunter. Es hatte sehr stark geschossen, aber wir waren alle von solch einem Jagdeifer ergriffen, daß wir garnicht an die Gefahr dachten und alles genau vom Speicher aus mit ansahen. (Gerade ist schon wieder Alarm) Am folgenden Tage hatten wir 3 Stunden während der Schulzeit Alarm. Wir müssen dann immer schön brav in den, in der nächsten Nähe liegenden Bunker gehen. Das ist natürlich gräßlich. Die Luft war so verbraucht, daß man wirklich beinahe in Ohnmacht fallen konnte. Einigen aus
meiner Klasse und auch mir wurde es zu bunt und wir gingen zu einem Nebenausgang. Und gerade in dem Augenblick kam ein angeschossenes feindliches Flugzeug ganz tief über uns hinweg geflogen und ist in Zollstock auf ein noch unzerstörtes Haus gestürzt. Der Pilot versuchte sich durch Fallschirmabsprung zu retten, fiel aber auf der Marienburgerstr. Ecke Goltsteinstr. in einem Baum und stürzte dann mit dem Kopf auf die Schienen. Mir tun die Besatzungen aus den abgeschossenen Flugzeugen immer sehr leid.
Vorhin bin ich wieder im Alarm zu Fuß nach Hause gekommen, und wie es schoß, habe ich mich unter der Südbrücke gerettet.
Die Schule macht einem reichlich viel Arbeit. Die beiden neuen Sprachen, die wir jetzt dazu bekommen haben sind sehr
umständlich zu lernen, da wir noch keine Bücher haben, und wir auch garnicht wissen wie man daran kommen soll.
Wenn ich Mittags aus der Schule komme, setze ich mich sofort nach Tisch an die Aufgaben, und dann sitze ich bis Abends 10 Uhr wenn nicht noch später daran. Bin ich fertig kommt Alarm, und das geht jeden Tag so. Schön ist das gerade nicht, aber nun freue ich mich, daß Samstag ist, und daß ich morgen einen herrlichen Sonntag vor mir habe. – Gestern hatte ich endlich wieder bei Frl. Brinkwerth Klavierstunde. Da meine Noten, außer den Beethovenbänden, alle in Much gelandet sind, habe ich jetzt ein etwas recht schwieriges aber wunderschönes Adagio aus der D Moll Sonate aufbekommen.
Nun ist Dein Einsatz doch bald zu Ende, die Zeit ist eigentlich sehr schnell vergangen. Hoffentlich geht es Dir weiterhin recht gut. – Sei für heute recht herzlich gegrüßt, und nimm einen lieben Kuß von Deiner Ulla