Ursula Lindemann an Lotti, 7. November 1943
Köln, den 7.11.43
Meine liebe Lotti,
Heute will ich Dir endlich einmal in Ruhe schreiben, in der vergangenen Woche kam ich nicht dazu, da mich so vieles abhielt. Die Schule natürlich an erster Stelle.
Nun bist Du schon eine Woche wieder in Heidelberg und Dein Semester wird inzwischen wieder angefangen haben. Hoffentlich ist es in Eurem Häuschen nicht all zu kalt, wir haben hier eine dolle Kälte, morgens ist alles erfroren. – Heute Morgen war ich im 1. Meisterkonzert in der Aula der Uni. Adrian Aeschbacher spielte Werke von Händel, Beethoven, Schubert und Brahms.
Er hatte einen wunderschönen Anschlag, so weich und klar, es war hinreißend schön. Leider hatten wir dazwischen eine Stunde Alarm, den wir im Keller verbringen mußten.
Dienstag waren wir im Gürzenichkonzert. Klaus hatte zufällig einen Tag Urlaub und konnte mitgehen. Es wurde die große Messe in f-moll von Bruckner gegeben mit Erb.
O, schön, im Radio wird gerade die 7. Sinfonie von Beethoven gespielt unter Furtwängler. – Mit Beginn der Sinfonie geht hier bei uns Alarm los, und dabei ist es erst 6 Uhr. Ich habe eine riesige Wut. Aber vorläufig bleibe ich oben und höre mir die Sinfonie an.
Der 1. Satz ist ganz Beethoven. Dieses Wuchtige und Mächtige kann es nur einmal geben. Das Tema im 2. Satz wiederholt sich immer
wieder, indem ein Instrument das andere ablöst, und dann sich in die höchsten Töne schwingt und wieder niedersinkt. Dieser Satz ist so ruhig, und wenn man ganz still zuhört, vergißt man all das Schreckliche was einen in der letzten Zeit so bewegt. Nun beginnt das Scherzo. Aufgeregt setzen die Geigen ein und reißen das Tema mit sich fort. Das Trio anschließend besänftigt die wilden Gemüter, ganz weich, zart und zögernd schwingen sich die Geigen über d. dunklen Baß des Cellos hinweg, und indem das ganze Orchester einsetzt steigert sich das Tema ins Grenzenlose. – Dies ist die Stelle, die ich am meisten liebe. Der 4. Satz setzt gleich wild und stürmisch ein und geht so fort bis zum Schluß und endet in schweren Schlußaccorden.
Nun wo alles still ist, höre ich, daß es
die ganze Zeit schon tüchtig schießt. – Ich schicke Dir heute einige Bilder von unserem Dom mit, damit Du siehst, wie schwer er wieder getroffen ist. Das war am Donnerstag wirklich ein seltsamer Angriff. Im Radio hörten wir über den Drahtfunk, den wir in der großen Welle bei Luxenburg abfangen können, daß 600 Maschinen auf Köln zufliegen. Danach hieß es, 300 auf Köln u. 300 auf Düsseldorf. Während des ganzen Angriffs ist kein Schuß gefallen, wir hörten nur das unendwegte Brummen und Heulen der Flieger und das Zischen der Bomben. Die Fenster sind alle aufgeflogen. In der Schule sind sie wieder alle kaputt, und wir müssen arg frieren. - - Mutti drängelt die ganze Zeit ich müsse in den Keller, und deshalb will ich jetzt schnell aufhören. Grüße bitte Deine Mutter u. Gisela herzlich von mir.
Dir viele liebe Grüße und einen Gutnachtkuß von Deiner Ulla