Ursula Lindemann an Lotti, 7. Januar 1944

Köln, den 7.1.1944

Meine liebe Lotti!

Mitten im Alarm bei heftigem Schießen kam die Briefträgerin und brachte mir Deinen lieben, guten Brief. Aber da andauernd neue Geschwader, die wir vom Speicher mit dem Feldstecher verfolgten, über uns wegbrausten, (600 Maschinen waren es) und ich anschließend gleich zur Schule mußte, fand ich erst jetzt am Abend Zeit dazu, ihn in Ruhe zu lesen. Gleich will ich Dir antworten, damit Du weißt, wie sehr mich Dein Brief bewegt hat, und wie dankbar ich Dir bin.

Es ist so schön einen Menschen zu besitzen, dem man alles anvertrauen kann, und der einen versteht und hilft. – Heute sind nun meine Ferien zu Ende. Leider hat sich die Hoffnung, auf verlängerte Ferien, wie es in allen Orten der Umgebung zutrifft, nicht erfüllt. Nun müssen wir wieder in den ungemütlichen Klassen sitzen, die so kalt sind, daß unser Atem beschlagen wird. An den Wänden rinnt das Wasser herab und auf dem Boden bilden sich Pfützen. Wie kleine Eskimos sitzen wir alle in unseren Wintersachen eingehüllt und versuchen zu arbeiten. Augenblicklich beschäftigt sich die Schuldirektion mal wieder mit dem Gedanken, uns zu eva-

kuieren, weil man mit Tagesangriffen rechnet. Wenn das wahr wird, siedle ich entweder nach Bonn oder Godesberg über, gehe dort in die Schule, und miete mir bei Bekannten ein Zimmer und komme zum Wochenende wieder nach Hause. Aber nach dem gelobten Lande Schlesien fahre ich nicht. Auf die Hermann-Lietz-Schulen kann ich nicht, da sie überfüllt sind. – Am Montag beginnt nun wieder unser Bahnhofsdienst. Dann heißt’s wieder früh aus den Federn und kleine Kinder versorgen. Es ist gut, daß wir endlich wieder eine ordentliche Beschäftigung bekommen, vor allem eine, die uns selbst befriedigt. Wie lange dieser Einsatz dauern

wird wissen wir noch nicht.

In meinen Ferien habe ich recht eifrig gebacken. Die Brüder wollten doch mit Feldpostpäckchen versorgt sein. Und so habe ich Mutti das Backen abgenommen und ganz allein, nach zeitgemäßen Rezepten, Plätzchen gebacken. Als sie dann gut gelungen waren, war ich doch recht stolz auf mein erstes Machwerk. – Von Klaus haben wir heute Nachricht bekommen. Der arme Kerl verbringt Tag und Nacht in einem kleinen Erdloch zu und hat 200 m. vor sich den Russen. Er schreibt aber trotz dem recht vergnügt und zufrieden. – Über Deine Nachricht, von Deinem Kommen, habe ich mich sehr gefreut, denn heimlich hatte ich doch auf Dein Kommen zu Weihnachten gehofft. Wann steigt nun eigentlich Dein Physikum? – Ein lieber Kuß von Deiner Ulla.

Grüße bitte Deine Mutter u. Gisela herzlich von mir.