Ursula Lindemann an Lotti, 19. Juli 1944

Köln, den 19.7.44.

[30.7.]

Meine liebe Lotti,

eben ging Alarm los, und so will ich schnell die Pause dazu benützen, Dir einen Gruß zu schicken und Dir erzählen, wie es mir als Straßenbahnschaffnerin ergeht. Es ist jetzt erst kurz nach 7 Uhr und ich sitze auf einer Bank inmitten der üppigen Blumenpracht des Botanischen Gartens. Hier ist die Endstation der L. 14, die ich seit gestern mittag fahre. – Nachdem wir diese Nacht mal wieder 3 recht ungemütliche Stunden im Keller verbracht haben und wir erst um 4.30 wieder ins Bett konnten, mußte ich um 5 Uhr am Bahnhof Süd an der Schönhauserstr. sein. Wir müssen doch 8 Stunden tägl. unseren

Einsatz machen, und ich finde es auch ganz richtig so. Die Zeit vergeht einem recht schnell und im nu ist es 13 Uhr, und die Ablösung wartet auf einen. Schließlich sind wir alt genug um vollen Dienst zu leisten. Und ich bin viel froher, wenn ich mich auch etwas betätigen darf. Wir alle sind mit viel Lust und frischem Mut an unseren neuen Beruf getreten. – Am Montag, also vorgestern, wurden wir den ganzen Tag geschult und mußten das lernen, was die anderen Straßenbahnschaffnerinnen in 3 Wochen lernen. Gestern morgen wurden wir eingekleidet und am Mittag um 14 Uhr fuhren wir unsere ersten Fahrten. Gestern und auch noch heute sollten wir unter der Aufsicht älterer Schaffner fahren, aber morgen müssen wir alleine unseren Wagen hüten. -

Nun schießt es leider und ich muß

meinen Brief unterbrechen. -

So, jetzt ist es wieder etwas ruhig. Nachdem ich eine halbe Stunde in einem sehr düsteren und muffigen Keller eines Privathauses gesessen habe, bin ich froh jetzt wieder in der frischen Luft sitzen zu können. – Heute will es garnicht hell werden. Durch den Rauch und die Verneblung kommt die Sonne nur ganz verschleiert zum Vorschein und kann alles nur matt mit ihrem Glanz beleuchten.

In der nächsten Zeit werde ich wohl kaum noch Zeit zum Briefeschreiben finden.

Wie geht es Dir, liebe Lotti? Ich habe so lange nichts mehr von Dir gehört. Du hast sicherlich sehr viel zu arbeiten. Bist Du immer noch im Präparierkurs? Für Dich beginnen doch die Ferien nun auch in den nächsten Tagen? –

Habt Ihr von Gisela Nachricht aus München? Dort muß es jetzt doch auch sehr schlimm aussehen.

Und wie geht es Deiner Mutter? Grüße sie bitte recht schön von mir. -

Hans schreibt uns jetzt nicht mehr so oft, da die Russen nun auch bei Tarnopol, wo er ja liegt, zum Großangriff angetreten sind.

Von Klaus haben wir erst eine Karte von seiner Durchreise aus Amiens bekommen, und so wissen wir auch noch garnicht wo er steckt. Er kann ja vielleicht zur Kampflinie gekommen sein. Es ist wirklich nicht schön, so in Ungewißheit zu leben. -

Wenn doch jetzt endlich Vorentwarnung käme, denn nun haben wir schon 2 ½ Stunden Vollalarm. Schade, daß dies mein einziges Schreibpapier ist. Sei recht lieb gegrüßt von Deiner Ulla.