Ursula Lindemann an Lotti, 5. September 1944

Köln, den 5.9.44.

Meine liebe, gute Lotti!

Nun werden wir wahrscheinlich doch nicht wegkommen, weil für uns noch keine Lager vorhanden sind. Außerdem ist das Schanzen ja jetzt zu spät. Aachen wird schon geräumt, und da müssen wir damit rechnen, daß dies in Köln auch geschieht. Die Eltern wollten mich sowieso nicht wegschicken. Dabei habe ich mich so gefreut, helfen zu können, und stattdessen müssen wir nun hierbleiben. Aber wir werden wahrscheinlich hier eingesetzt. Entweder müssen wir hier schanzen oder

für die vielen Flüchtlinge sorgen. Mir ist alles recht, die Hauptsache ist nur, daß wir auch helfen können. -

Hier bei uns ist augenblicklich das größte Durcheinander. Wir räumen sehr viel aus. Wir wollen das Herrenzimmer leer machen und dann darin die Feldbetten aufschlagen, weil wir ja bestimmt mit Einquartierung rechnen müssen. Außerdem räumt Mutti unten im Keller alle Kleider und Wäsche in Kisten, die wir dann im Garten vergraben wollen. Du kannst Dir garnicht vorstellen welche Zustände hier in Köln herrschen. Ein Gerücht jagd das andere. Viele wollen es schon schießen hören. Zu allem Glück ist Helmie seit gestern krank, so kann ich dann dafür sorgen, daß wir alle etwas zu essen bekommen und die Zimmer eini-

germaßen in Ordnung bleiben. Alarm haben wir natürlich ständig. Heute morgen wußte ich überhaupt nicht, wie ich alles schaffen sollte. Außer Kochen und Putzen mußte ich noch zur Ortsgruppe um unsere Soldatenhemden und unsere Munitionsschachteln zu holen. Dazwischen schoß es immerzu, es war eine furchtbare Hetzjagd. – Gleich muß ich zum Bann und mich erkundigen, wie es nun mit unserem Einsatz wird.

Am Abend.

Wir kommen nun wirklich nicht fort. Sondern wir sollen uns für jeden Einsatz bereit halten. Also müssen wir morgen alle wieder zur Schule wandern, was uns garnicht recht ist. Denn wer kann sich in dieser schweren Zeit noch auf die Schule oder ähnliches konzentrieren? Die Sorgen und Gedanken um unsere Zukunft

lassen sich nicht verdrängen. Wir wollen nun alle versuchen, daß wir wenigstens etwas für die Flüchtlinge tun können.

Vorhin habe ich draußen tüchtig gegraben und bin jetzt ganz lahm davon. Wir wollen Eingemachtes im Garten vergraben und auch sonst noch einiges vorsorgen. Du siehst, wir rüsten uns für das Schlimmste. Gebe Gott, daß alles umsonst ist. -

Habt Ihr nun von Hansa endlich Nachrichten? Ich habe ihm gestern noch mal einen langen Brief geschrieben. Hoffentlich erhält er jetzt diesen Brief. Wie geht es Deiner Mutter? Hoffentlich bekommt Ihr nicht zu viel von den Angriffen auf Mannheim-Ludwigshafen mit ab.

Die Eltern lassen herzlich grüßen.

Dir, liebe Lotti, viele liebe Grüße von

Deiner Ulla.