Ursula Lindemann an Lotti, 20. November 1944
[A. 25.11.]
[B. 27.11.]
Nr. II. Köln, den 20. November 44.
Meine liebe Lotti!
Ob ich diesen Brief einmal ohne Unterbrechung in Ruhe schreiben kann?
Heute bekam ich Deinen lieben, guten Brief, vom 24. Oktober, für den ich Dir recht herzlich danken möchte. Ich bin auch in solcher Sorge um Hansa. Hoffentlich geht es ihm noch gut. Habt Ihr außer der Nachricht vom 10. Oktober nochmal etwas von ihm gehört? Ach, wenn er doch gesund wieder nach Hause käme. Wenn so viele Gedanken und gute Wünsche um einen sind, so muß man doch bewahrt bleiben und gesund wieder kommen. Ich wünsche nicht heißer, als, daß die Brüder und Hansa wieder zu uns zurück kommen können. Von Günter Schmitz haben wir vom 20. Oktober Nachricht.
Er stand bei Aachen. Für meine Tante ist es furchtbar schwer, das ständige donnernde Feuer von der Front zu hören und zu wissen, Günter ist dabei. Karl-August ist vermißt, ich schrieb es Dir schon. Überall ist das gleiche Leid und die gleiche Sorge. Tante Nia hat auch schon über 3 Monate nichts mehr von ihrem Mann gehört. Er war bei Trois an der Seine. Diese Ungewißheit und das Warten sind das Schlimmste.
Daß Du Dein Examen so großartig bestanden hast, freut mich so sehr. Es konnte aber auch garnicht anders sein, da Du so doll gepaukt hast. Ich gratuliere Dir von ganzem Herzen zu diesem schönen Erfolg. Was ist nun wohl aus Dir geworden? Hoffentlich kannst Du nun wenigstens Facheinsatz machen. -
Wir haben hier einen furchtbaren Tumult. Bis Donnerstag müssen alle, die nicht berufstätig sind, Köln verlassen
haben. Wer diesem Befehl nicht Folge leistet, und sich noch auf der Straße blicken läßt, bekommt die Kleiderkarte und Lebensmittelmarken entzogen. Mutti, Helmie und ich haben diesen Befehl noch nicht bekommen, rechnen aber stündlich damit. Es ist nicht auszudenken. Wir können Vater doch nicht alleine hier lassen. Wie soll das nur noch alles werden. Ich bin vollkommen verzweifelt. Wir haben schon einen ganzen Teil von unseren Sachen in Haltern untergebracht und leider auch eine Menge Wintersachen, die wir jetzt so dringend nötig hätten. Vermutlich ist Haltern eher als Köln besetzt.
Wir kommen mit dem Auto so schlecht hin, da die Gefahr der Tiefflieger zu groß ist. Gestern sind Vater und ich trotz Fliegerangriffen und Beschießerei in Frechen gewesen. Es war ziemlich gefährlich und uns beiden war auch nicht ganz geheuer zu
Mute, als über uns die Flieger im Sturzflug mit furchtbaren Heultönen herunterkamen, Bomben abluden und mit ihren Bordkanonen herunterschossen. Aber man kann ja schließlich dieser ollen Flieger wegen nicht alles liegen lassen und aufgeben. Man muß halt an seinen guten Stern glauben und es wagen. – In Frechen gab es Licht, Wasser, Gas und alles was wir uns wünschten. Was war das ein Genuß sich mal wieder richtig mit klarem Leitungswasser waschen zu können. Unsere Wasserpumpe in Rodenkirchen tut es wieder, allerdings kommt nur noch ein ganz dünner Strahl heraus, aber die Hauptsache ist, wir haben wieder eine Quelle, wo wir das notwendige, köstliche Naß bekommen. -
Wir hören furchtbaren Kanonendonner. Man spricht davon, die erwartete große Offensive habe begonnen und im Raume
Aachen-Stolberg-Düren seien die erbittersten Kämpfe im Gange. Pausenloses Artilleriefeuer bringt uns Kunde davon. Diese Nacht dachte man, das noch länger auszuhalten sei unmöglich. Unaufhörlich Grollen und Dröhnen liegt in der Luft. Alarm haben wir immerzu. Wie oft wir jeden Tag und des Nachts im Keller sitzen, kann man garnicht mehr zählen. -
Liebe Lotti, Du schreibst so lieb, ich solle zu Euch nach Schriesheim kommen. Wie liebend gerne ich das tun würde, weißt Du bestimmt. Aber kann ich denn hier fort, ohne zu wissen ob ich die Eltern jemals wiedersehe? – Und außerdem muß in dieser schweren Zeit jemand bei den Eltern sein, der mit ihnen gemeinsam die Sorgen trägt und ihnen etwas frohen Mut gibt. Solange es noch eben geht, bleiben wir in Köln. Vorläufig bin ich ja noch berufstätig
und brauche also noch nicht weg, da ich ja noch bei Paffrath gemeldet bin. Hab also vielen, vielen Dank für Deine liebe Einladung. Wenn es einmal hier nicht mehr weitergeht, dann stehe ich vielleicht mal vor Eurer Türe. – Wollen außerdem nicht Bartels oder Fräulein Monscheuer zu Euch rauf kommen? – Wie geht es Deiner Mutter? Grüße sie doch bitte recht herzlich von mir. Und was macht Gisela? Sie kann jetzt doch auch nicht mehr weiterstudieren. Ist eigentlich Maria noch in Bensberg? Wird sie mit ihren kleinen Kindern dort noch bleiben können? Nach Bensberg sind jetzt so viele Soldaten hingekommen, dann wird sie gewiß viel Einquartierung bekommen haben. Köln soll jetzt auch Aufmarschgebiet werden. Hoffentlich wissen das die Amerikaner nicht zu bald, denn dann müssen wir wohl noch mit schweren Angriffen rechnen. Na, vorläufig ist’s ja noch nicht so weit. So nun recht innig gegrüßt und geküßt von Deiner Ulla. – Diesen Brief gebe ich wieder jemandem nach Heidelberg mit.
Hast Du meine Post eigentlich alle bekommen? Auch den letzten Brief vom 16-18.11. den ich in Bonn einwerfen ließ?