Ursula Lindemann an Lotti, 25. November 1944
Köln, den 25. November 44.
[7.12.44.]
Meine liebe Lotti!
Wann werde ich Dir einmal in Ruhe schreiben können? Gerade wollte ich in Rodenkirchen Wasser holen, aber nun ist mir Vollalarm dazwischen gekommen, es schießt und brummt und ist zu gefährlich jetzt wegzugehen. Deshalb schreibe ich Dir schnell um Dir die Adresse vom O.K.W. zu geben.
O.K.W. Abtlg. für Kriegsgefangene und Kriegsverluste.
Saalfeld-Saale.
Wir haben am 18.11. wegen Klaus dorthin geschrieben und bangen der Antwort entgegen. Ich habe so Angst um Hansa und die Brüder. Wenn sie doch nur wieder zurückkommen. Alles denken und grübeln hilft uns nicht zu erfahren, was aus ihnen geworden ist. Und bis wir Gewißheit haben vergehen Wochen und Monate. Dieses Warten
ist schrecklich. Und so geht es vielen tausend Menschen auch. Ach Lotti, ich weiß nicht mehr weiter.
Gestern bekam ich Deinen Brief vom 13.11., den Du Albrecht Finke mit nach Köln gabst. Hab Dank für ihn. Du bist nun schon eine Woche als Hilfsärztin im Polizeilazarett tätig. Wie mag es Dir in diesem Einsatz ergehen? Darfst Du ganz selbständig arbeiten? Wenn dort auch eine kleine Chirurgie ist, darfst Du dann mit operieren? Ich warte gespannt auf Deinen ersten Bericht. Wie lange dauert Dein Dienst und mußt Du auch Sonntags arbeiten? Es wirklich ein Glück, daß Du nicht in die Rüstung brauchtest. Wie ergeht es Gisela im Büro? Nun ist Deine Mutter wieder viel allein? Wie geht es ihr gesundheitlich? -
Gestern traf ich unvermutet Bartels u. Frl. Monscheuer in Bayenthal. Sie wohnen jetzt in Klein Eichen Robert-Ley Str. 14. Sie lassen Euch recht herzlich grüßen.
Von hier ist nichts Neues zu berichten.
Die Front ist uns sehr viel näher gerückt. Das tost und kracht seit gestern nachmittag wieder um uns herum und will garnicht zur Ruhe kommen. Um Jülich wird gekämpft. Wir haben wieder, nachdem die letzten Tage ruhiger waren, ständig Alarm. Die Amerikaner setzen ihre Schlachtflieger und Jagdbomber ununterbrochen in die Kämpfe ein, daher haben wir immerzu Alarm.
Unsere Wassernot bringt uns bald zu Verzweiflung. Vorhin habe ich 1 Stunde unnütz im Regen gestanden, um hier dem Wasserwagen, der jeden Tag neuerdings zur N.S.V. drüben kommt, auch paar Tropfen für uns zu bekommen. Nachdem ich vollkommen durchnäßt war, schickte mich der Fahrer des Wagens wieder fort, es sei nichts mehr da. Das sind so unsere täglichen Freuden, ums Wasser betteln zu müssen! In Rodenkirchen geht die Pumpe so schwer und es kommt
kaum was raus. – Unten am Rhein müssen alle Häuser geräumt werden, wegen Hochwasser. An einigen Stellen ist das Wasser schon über das Ufer getreten. Wir haben wirklich zuviel und zu wenig Wasser! -
Es schießt sehr stark. Ich kann meine Gedanken jetzt nicht auf’s Schreiben konzentrieren, deswegen huddele ich so. In den nächsten Tagen wollen wir nach Haltern fahren, um das, was wir notwendig brauchen, wieder zurück zu holen. Wir hatten in unserem ersten Schrecken alles, was uns in die Hände kam gerettet und nach Haltern geschickt.
Will das Höllenkonzert draußen kein Ende nehmen? Diese Tiefflieger sind entsetzlich.
Liebe Lotti, ich kann heute nicht schreiben.
Viele liebe Grüße von
Deiner Ulla.