Ursula Lindemann an Lotti, 13. Dezember 1944
Nr. 10.
Köln, den 13.12.44.
Meine liebste Lotti!
Heute erhielt ich Deinen so lieben Brief vom 27.11. für den ich Dir sehr danke. Ich bin immer so froh, daß ich Dich habe, und kann oft garnicht begreifen, wieso ich manchmal so traurig bin. – Du schreibst garnichts von Deinem neuen Einsatz. Hoffentlich macht es Dir Freude. Es ist ja solch ein Glück für Dich, daß Du diesen Einsatz machen kannst, und nicht in irgend einer Rüstung arbeiten mußt.
Sowie ich wieder ganz in Ordnung bin, arbeite ich bei Vater im Büro, denn ich will hier nicht so tatenlos herumsitzen, während Ihr alle so fleißig seid. Wie geht es Gisela im Büro?
Augenblicklich haben wir wieder sehr starkes Hochwasser. Unser Büro am Ubierring ist nicht zu benutzen, da der Luftschutzkeller und die Heizung unter Wasser stehen. So ist das ganze Büro nach hier verlegt worden und ich werde von allen Seiten schon tüchtig angelernt. Unsere Wassernot wird wieder schlimm, wenn nun auch unsere Pumpe unter Wasser steht. Und draußen gießt es immer noch so stark. -
Die Front ist seit dieser Nacht wieder ganz ruhig. Ob wieder eine neue Offensive bevorsteht, oder liegt diese Waffenpause nur an dem schlechten u. ungünstigen Wetter? Wir haben ja das Vordringen der Amerikaner zum Stillstand gebracht. Wenn wir die Front nur bei Düren und Jülich weiterhin halten können, denn sie dürfen nicht über die Rur und damit durch
die letzte Westwallbefestigung in die Kölner Ebene kommen. Wir setzen alles ein und müssen es schaffen!
Heute sind den ganzen Tag frontnahe Gebiete angegriffen worden.
Bei Euch ist die Front auch näher gerückt. Hoffentlich gelingt es den Amerikanern nicht, weiter über die Saar hinauszukommen. – Gerade sind Tiefflieger da. Es ist unheimlich, wenn sie so heruntergeschossen kommen und ihre Bomben abladen.
Nun will ich Dir einen Weihnachtsbrief schreiben, aber es will nicht klappen. Ich kann jetzt nicht daran denken und außerdem fehlt mir die innere Ruhe dazu. Wir alle stehen zu sehr unter dem Eindruck des Krieges und werden davon mitgerissen. Mein Weihnachtswunsch ist, daß wir
uns gesund wiedersehen und vor allem, daß Hansa und die Brüder einmal wieder heimkehren. Ich will daran ganz fest glauben, dann muß dieser Wunsch auch in Erfüllung gehen! – Über Klaus wissen wir nun schon über 18 Wochen nichts mehr. Wir haben immer noch die einzige Hoffnung, daß er in Gefangenschaft geraten ist, oder daß er so schwer verwundet ist, daß er nicht selbst schreiben kann. Was mag aus ihm geworden sein? Du weißt, wie schwer diese quälende Ungewißheit ist, und wie sehr sie einen niederdrückt. -
Dieser Brief wird Dich wohl zu Weihnachten nicht mehr erreichen, wenn die Post weiter in diesem Schneckentempo wie augenblicklich arbeitet. Ich will diesen und den Brief von gestern am Samstag, wenn Mutti und ich nach Bonn
fahren, mitnehmen und ihn dort einwerfen. Ich schicke Dir 2 Bilder von mir mit, die wir voriges Jahr im Winter machen ließen und im vergangenen Monat bekamen. Sie sollen Dir viele, liebe Grüße von mir bringen und Dir sagen, wie sehr lieb ich Dich habe. – Am liebsten würde ich mit ihnen zu Dir reisen. Wie geht es Maria und ihren Kindern? Kann sie Dich nicht einmal besuchen? Wirst Du Weihnachtsferien bekommen? Werdet Ihr auch so sehr von den Tieffliegern belästigt? Sei bitte immer vorsichtig, Lotti.
Grüße bitte Deine Mutter und Gisela schön von mir. Sei Du für heute recht innig gegrüßt und geküßt.
Immer Deine Ulla