Ursula Lindemann an Lotti, 26. September 1944

Köln, den 26.9.44.

Meine liebe Lotti!

Eben kam ich nach Hause und fand zu meiner großen Freude Deinen Brief vor. Liebe Lotti, ich habe ihn mir gut durch den Kopf gehen lassen. – Du hast ja so recht mit all dem was Du schreibst, aber ich möchte trotzdem meine neue Arbeitsstelle nicht aufgeben. Die Eltern und auch ich haben schon versucht, daß wir wenigstens nur halbtags zu arbeiten brauchen, aber der Bann, von dem der ganze Einsatz ausgeht, hat bestimmt, daß wir in der Woche unsere 56 Stunden durcharbeiten müssen und dagegen hilft kein Sträuben. Auch in der Zeitung und im Radio ist das gesagt worden. So arbeiten wir also jeden Tag 10 und Samstags 6 Stunden. – Und außerdem sind dem Bann nur Rüstungen zugewiesen worden, in denen dasselbe, wenn nicht noch mehr als in unserer Fabrik verlangt wird. Ich kann nicht anders als mit meiner neuen Arbeit zufrieden zu sein. Meine Arbeitsgeber sind alle sehr nett und freundlich zu uns und versuchen in jeder Beziehung uns behilflich zu sein. -

Ach Lotti, um Dich wirklich zu überzeugen, daß es mit dem Einsatz wahrhaftig gut geht, müßte ich wahnsinnig viel schreiben. Ich kann Dir nur das Eine sagen, ich bin glücklich, es so gut angetroffen zu haben und vor allem, meine Arbeit befriedigt mich sehr.

Habt Ihr Nachricht von Hansa? Von Hansel u. Klaus haben wir immer noch keine Post.

Eben habe ich mit Frl. Monschener gesprochen und ihr von Deinem Brief erzählt. Sie sagt auch, ich solle jetzt da bleiben, wo ich nun einmal bin, wer weiß, wo ich sonst noch hinkäme, womöglich doch noch an den Westwall, wo viel mehr von einem verlangt wird und tausenderlei Gefahren auf einen lauern. – Liebe Lotti, Du brauchst wirklich keine Angst zu haben. Natürlich bin ich jeden Abend, auch heute, sehr erschlagen, aber so schlimm ist das ganz gewiß nicht. Das einzig fiese ist, daß ich plötzlich so einen Husten habe, der in der Brust weh tut. Das haben die anderen fast alle auch, und es kommt von der trockenen u. rauchigen Fabrikluft. Sonst geht es uns wirklich noch sehr gut. Daß die Beine abends weh tun, ist natürlich aber erträglich. Wir haben alle immer noch einen gesegneten Appetit und sehen allem, was sich uns entgegenstellt mit gutem Mut entgegen. – Meine anderen Schulkameradinnen sind alle im Einsatz, entweder bei der Straßenbahn oder auch in der Rüstung. Die 7. Klassen sind hier in unserem Gau alle geschlossen u. auch d. Schülerinnen d. 6. Klassen müssen schon sozialen Einsatz machen.

Nun genug davon, ich kann jetzt nicht mehr schreiben. Verstehe mich bitte, Lotti. Ihr habt dort oben in Eurem Häuschen nicht den Einblick in die Not, die in dem Westen herrscht, wie wir hier in unserem Grenzgau. Wir müssen hier alle helfen, wenn es auch die allerschwerste Arbeit ist. Es geht doch jetzt ums Letzte. – Bitte sei nicht böse, daß ich Dir so antworte. – Schreib mir bitte recht bald wieder, Du weißt ja garnicht, wie sehr ich immer gerade auf Deine Post warte u. mich über jeden Brief so sehr freue. – Am meisten hat mich in Deinem Brief gefreut, daß Du doch kein Notexamen zu machen brauchst. Ich wünsche mir, Du könntest Dein Studium noch ganz in Ruhe vollenden. Grüße bitte D. Mutter u. Gisela schön. Sei Du wie immer in herzlicher Liebe gegrüßt von D. Ulla.