Ursula Lindemann an Lotti, 17. November 1944
[A. 27.11.]
[B. 27.11.]
Köln, den 17.11.44.
Meine liebe, gute Lotti!
Endlich, endlich ein Brief von Dir. Nun ist alles gut. Ich bin ja so sehr froh, wenn er auch älteren Datums ist, die Hauptsache ist, Du hast mir geschrieben. Er ist vom 22.10. – Zuerst einmal meinen allerherzlichsten Glückwunsch zu Deinen beiden ersten mit „sehr gut“ bestandenen Fächern. Über diese Nachricht habe ich mich am allermeisten gefreut. Die Anatomie hat gewiß auch gut geklappt.
Vorhin habe ich um Deinen Brief regelrecht kämpfen müssen. Es war solch ein Andrang an der Post. Aber als ich dann endlich an der Reihe war und unter den Briefen Deine Schrift
erkannte, habe ich mich ganz gerne schubsen lassen und war selig. Inzwischen hast Du nun hoffentlich meine Briefe alle erhalten. Ich will ab heute meine Briefe an Dich alle nummerieren, damit wir sehen, welche verloren gehen. Auf der Post müssen ja fürchterliche Zustände sein, denn Dein Brief war über 3 Wochen unterwegs. Dagegen ein Brief von Hansel nur 1 ½ Wochen.
Draußen schneit und hagelt es durcheinander. Dazu hört man den furchtbaren Kanonendonner der Front. Es ist nicht schön ganz allein zu Hause zu sitzen und auf dieses Höllenkonzert da draußen zu hören. Zuweilen kommt ein so starker Stoß, daß man denkt, er müsse alle, die ihn aus nächster Nähe hören, um den Verstand bringen. Den ganzen Tag ging das so. Augenblicklich haben wir Voralarm
aber wir stören uns schon garnicht mehr daran. Es sind nur einige fdl. Jäger da. Sonst ist es ruhig.
Du wirst nun mitten in Deinem neuen Einsatz sein. Zu gerne wüßte ich, wo Du arbeitest und was Du tun mußt. Hoffentlich hast Du es gut angetroffen und hast nicht so anstrengende Arbeit. Ich wünsche es sehr für Dich. Gisela wird wohl auch eingesetzt sein? Wie geht es Deiner Mutter? Habt Ihr seit dem 2. Oktober noch mal Nachricht von Hansa? Die Post von der Westfront geht ja so schlecht. Man hört es von allen Seiten. Wir trösten uns immer damit und hoffen, daß Klaus noch mal Glück hatte. Und das hoffen und wünschen wir auch für Hansa.
Meine arme Tante ist sehr unglücklich und verzweifelt. Ich bin so oft wie es geht bei ihr oben und möchte ihr so gerne helfen. Diese Ungewißheit und das trostlose War-
ten auf ein Lebenszeichen von einem geliebten Menschen ist das Fürchterlichste. So viel Leid gibt es, und man steht so gänzlich hilflos daneben. In der letzten Zeit hab ich so viel Leid und Trauriges gesehen und erlebt. Manchmal kann ich es nicht fassen, daß es noch Gerechtigkeit und einen Gott gibt, der dieses unsagbare Elend und Grauenvolle zuläßt. Man verzweifelt und steht ständig im Widerstreit mit seinen Gefühlen und schließlich ist man ganz durcheinander. Am Tage geht es noch, dann bin ich beschäftigt und denke nicht viel nach, aber in der Nacht kommen die vielzuvielen Gedanken, und ich begreife erst, wie allein ich bin. Und dann erfaßt mich manchmal solch eine Verzweiflung und Angst vor allem was noch ungeschehen ist und noch kommen wird.
Es sieht ja alles so wirr und hoffnungs-