Ursula Lindemann an Lotti, 19.Oktober 1944
Schriesheim, d. 19.10.44.
[an 27.10.]
Meine liebe Ulla!
Heute Abend nur schnell diesen kurzen Gruß, um Dir für Deine Nachricht vom 5. u. 8.10. zu danken, und weil ich in großer Sorge um Dich und all unsere Kölner bin, seitdem es täglich von Terrorangriffen heimgesucht ist. Hoffentlich bist Du gesund geblieben und ebenso alle anderen Lieben. Es sind wirklich schlimme Zeiten und Deine Angst um das Morgen und Kommende ist nicht ganz unberechtigt. Ich möchte Dir gerne etwas davon abnehmen, Dir bei Deiner Arbeit helfen, die Du so jung noch, unter so viel schwierigen Umständen und Gefahren auf Dich nehmen musst.
Aber mach Dir nicht zu viel Sorgen und Gedanken, Ullakind, man muß in dieser Zeit einfach manchmal kaltblütig und stocksteif bleiben, um nicht von dem Schweren erdrück zu
werden. Wenn wir durchhalten, werden auch wieder einmal schönere Tage kommen, an denen wir auf das alles zurückschauen werden.
Wenn ich noch lange hier mit unnützen Examensarbeiten sitzen müßte, würde ich, glaub ich, allmählich platzen. Ich kann jetzt angesichts des Krieges einfach nicht mehr und begreife nicht, daß das Examen sich noch in so voller Ruhe abspielt.
Zum Glück kommt Montag die Anatomie dran und dann ist Schluß. Das erste, besser die beiden ersten Fächer haben recht gut geklappt. In diesen Tagen soll sich entgültig entscheiden, was mit uns geschehen soll. Ob Kriegs- oder Facheinsatz. Ich glaube fast, das letztere, angesichts des Volkskrieges, der gestern aufgerufen ist, und der wenigen
ärztlichen Hilfe, die für dieses Stadium des Krieges, für die kämpfenden Bürger und Bauern, bereitsteht. Wenn nun auch in absehbarer Zeit ein wirksames Mittel gegen diese Luftüberlegenheit auf dem Plan erscheint. Dies ist so unbedingt notwendig.
Nun wo der Kampf um Aachen zu Ende geht, wächst die Gefahr für Köln. Wenn Ihr es verlassen müßt, dann sei nicht traurig und denk daran, daß wir es für unser Vaterland und seine Rettung freigeben. Ich höre von Dir, daß Ihr nach Haltern wollt. Liegt denn das sicher genug? Und gibt es nichts besseres für Euch?
Von Hansa hatten wir Post vom 2.10. vom südlichen Schelde
Brückenkopf am Leopoldkanal. Wie wird es ihm in der Zwischenzeit ergangen sein? -
Auch Mannheim erlebte heute mittag einen sehr schweren Terrorangriff, der sich bis zu uns an die Weinstraße ausdehnte. Ich sah die Einschläge der Brandbomben in die Felder und Dörfer jenseits der Landstraße, die unter uns vorbeizieht.
Ich werde Dir nun etwas häufiger schreiben, um zu wissen, wie es in Köln steht und damit Du kleines Ullakind in dieser wirren Zeit einen Angelpunkt hast. Deinen Brief v. 3.10. erhielt ich und schrieb Dir gleich am 11.10. Wie steht es denn nun mit der Arbeit bei Paffrath?
Schlaf nun recht gut, liebe Ulla, und sei recht innig gegrüßt
von Deiner Lotti.