Ursula Lindemann: Schreiben als Ventil in schweren Zeiten
Ursula Lindemann wurde am 16. März 1928 in Köln-Marienburg geboren. Der Vater war Geschäftsführer eines Quarzsandwerkes und die Familie daher recht wohlhabend. Ursula wuchs gemeinsam mit drei älteren Brüdern in dem elterlichen Haus auf und erlebte hier eine behütete Kindheit. Früh zeigte sie musikalisches Interesse und lernte schon mit fünf Jahren Klavierspielen. Die Liebe zur Musik begleitete danach ihr ganzes weiteres Leben und half ihr auch während des Krieges, vorübergehend Ruhe zu finden.
Politik spielte in Familie Lindemann offenbar keine übermäßig große Rolle. Ursulas Vater trat zwar nach der NS-Machtübernahme in die NSDAP ein, doch offenbar weniger aus Überzeugung als aus geschäftlichem Interesse. Auch Ursula selbst zeigte wenig Neigung zum Nationalsozialismus: So wurde sie zwar Jungmädel, langweilte sich dort jedoch bald so sehr, dass sie nur noch sehr unregelmäßig am Dienst teilnahm. Auch dem BDM konnte sie später wenig abgewinnen.
Die Kriegszeit verlebte Ursula Lindemann vollständig in Köln. Mehrere Male wurde sie im Kriegshilfsdienst eingesetzt, zunächst bei der Post, dann als Straßenbahnschaffnerin und schließlich in der Rüstungsindustrie. Sie erlebte in diesen Jahren unzählige Luftangriffe mit. Zweimal wurde auch ihr Elternhaus ausgebombt und die Familie musste – soweit noch in Köln anwesend - schließlich in einem Notquartier im Keller hausen. Von den drei Brüdern, die sämtlich zur Wehrmacht eingezogen wurden, sollte nur einer den Krieg überleben.
Während der Kriegsjahre wurde Ursula zur unermüdlichen Briefeschreiberin und begann Anfang August 1944 zudem damit, ein Tagebuch zu führen. Sie schrieb täglich und das gleich seitenweise. So wurde ihr das Schreiben zum Ventil in einer schweren Zeit. Nicht nur mit ihren Brüdern hielt sie so Kontakt, sondern auch zu zahlreichen Freundinnen, die in anderen Städten wohnen.
Zur besonders wichtigen Bezugsperson wurde eine immerhin elf Jahre ältere Freundin aus der Nachbarschaft. Als diese zum Studium nach Heidelberg ging, entwickelte sich ein intensiver Briefwechsel zwischen beiden, der hier präsentiert wird. In diesen Schreiben vertraute Ursula Lindemann der Freundin vieles von dem an, was sie nach ihrem Dafürhalten mit ihren Eltern nicht besprechen konnte. Dass die Freundin überzeugte Nationalsozialistin war, beeinträchtigt den engen Kontakt nur geringfügig. Obwohl Ursula die Einstellung nicht teilte und sich von der Älteren auch nicht von deren politischer Sichtweise überzeugen ließ, verband die beiden doch vieles - allem voran ein großes musisches Interesse.
Während die Feldpostkorrespondenz mit den Brüdern offenbar verlorengegangen ist, hat sich ein Großteil des Briefwechsels mit Freundin Lotti erhalten. Er gibt – ebenso wie das hier ebenfalls einsehbare Tagebuch - ein eindringliches Bild vom Kriegsalltag der Jahre 1943 bis 1945 in Köln.
Nach dem Krieg studierte Ursula Lindemann an der Musikhochschule in Köln und wurde Klavierlehrerin. Bevor sie jedoch einen Beruf ergreifen konnte, heiratete sie und verzog nach Essen, wo sie sich vorrangig um ihre drei Söhne kümmerte.