Marga Ortmann an August Broil, 16. März 1943

Köln, am Montag 16. März.

Mein lieber August.

Das war ein recht stiller Tag gestern, der 1. Fastensonntag. So ganz angetan zu Besinnung und Einkehr. Beides tut uns not, denn haben wir uns nicht allzusehr an die äußere Betriebsamkeit verloren und das Eigentliche darüber vernachlässigt? Der Herr geht vierzig Tage in die Einsamkeit ehe er vor die Menschen öffentlich hintritt, um seine Sendung zu erfüllen – wir wollen es ihm nachtun in diesen vierzig Tagen bis zum Osterfest.

Mutter ist krank, sie hat sich im Keller eine starke Grippe geholt und muß zu Bett liegen. Da habe ich gestern ihre Stelle vertreten und ich habe es mit Freude getan. Es ist doch etwas Schönes um dieses Sorgendürfen der Mutter in der Familie. Als Kind nimmt man das alles so selbstverständlich hin. Gerne gehe ich heute Mutter zur Hand und kann garnicht mehr verstehen, daß ich das bisher nur als Belastung angesehen habe. Mutter ist sichtlich erfreut, daß ich den häuslichen Dingen jetzt mehr Interesse entgegenbringen kann. Das alles ist ja nur ein Dienen in Liebe, das Dien-Mut erfordert; daran mangelt

es freilich noch bei mir und der Verzicht auf die kostbare Freizeit fällt mir manchmal noch recht schwer.

Gestern nachmittag habe ich allein einen kurzen Gang durch den strahlenden Frühlingstag gemacht. Es war eine stille Stunde des Alleinseins. Auf der Wiese blühte der Krokus, überall an Baum und Strauch bricht zartes, junges Grün hervor. Die Lebenskraft, die so lange in den kahlen Zweigen geruht, ist durch die Sonne wach geworden und drängt nun nach Entfaltung. Das Herz ist ganz wach für all die Schönheiten, die sich dem Auge dartun und die Gedanken suchen tiefere Zusammenhänge zu erschließen.

Solch stille Stunden des Alleinseins sind mir die wertvollsten. Nun, da Du fort bist, suche ich sie noch mehr, denn jetzt bin ich nicht mehr in ihnen allein, sondern wir sind es.

Am Abend waren wir noch einige Stunden bei Klüppels beisammen. Georg hatte am Morgen einen Brief von Deinem Bruder bekommen, (vom 23.1.) den er uns vorlas. Welche Haltung spricht aus den klaren, schlichten Worten. Sie ist getragen von der Kraft christlichen Geistes, die ihre Bewährungsprobe bereits bestanden hat. Auch aus diesem Brief ging wieder

das menschliche Grauen vor der Gefangenschaft hervor und trotzdem dieses bedingungslose Jasagen zum Willen des Vaters nach dem Beispiel des Herrn am Ölberge. In schweigender Bewunderung steht man vor solcher Größe und erkennt aufs neue an ihr die eigene Kleinheit und Unzulänglichkeit. Für uns ist der Weg noch weit bis zu dem „Über den Dingen Stehen“ das die da draußen im Toben des Hasses und der Materie gelernt haben. Wenn auch nur wenige so reif und geläutert aus dem Kriege heimkehren werden, sie zeigen aber daß auch das Böse, das Unrecht, das scheinbar in unserer Zeit Triumpf feiert, letztlich der Ehre Gottes dienen muß.

Dienstagmorgen

Eben bringt mir die Post Deinen Sonntagsbrief. Fein, daß Du Dir durch das Lesen des Meßtextes wenigstens einen kleinen Ersatz für die Mitfeier des Opfers schaffen kannst. Vieles mußt Du nun entbehren – ich will es umso fester für Dich mittun. Jedesmal will ich ganz bewußt für uns beide gemeinsam vor den Herrn treten und wenn Er in der Kommunion zu mir kommt bitte ich Ihn, daß Er sich geistigerweise auch mit Dir verbindet.

Du August, es ist gut daß Deine Mutter nun weiß wie wir zueinander stehen. Ich freue mich darauf ihr näher zu kommen, denn wir sind uns doch nahe in der gemeinsamen Sorge und Liebe zu Dir.

Mach’s gut, lieber August, und laß das Bewußtsein unserer Verbundenheit uns beide froh und stark machen, daß wir die Zeit der Trennung überbrücken und recht zu nutzen wissen.

Aus dieser Freude grüße ich Dich

Deine Marga.