Marga Ortmann an August Broil, 1. April 1943
11. Köln, den 1. April 1943.
Mein lieer August!
Dein Sonntagsbrief hat mir viel Freude gemacht. Ja, ich habe darauf gewartet, aber nicht mit Ungeduld, denn ich weiß ja daß Du so selten Gelegenheit zum Schreiben hast und wenn es Dir möglich ist, wirst Du es schon tun. Die geistige Verbindung ist ja immer da, auch wenn sie nur selten im Brief zum Ausdruck kommen kann. – Die anfängliche Schwierigkeit, das innere Erleben im Briefe auszudrücken, wird wohl leichter überwunden, je mehr das Wort nicht vom wägenden Verstand geprägt, sondern offen aus dem bereiten Herzen kommt. Ich spüre wie sich die Sorge um das rechte Verstandenwerden, die mir sowohl beim gesprochenen Wort wie auch beim Brief eigen ist, im Schreiben an Dich immer mehr verliert. Das Wort, das das Herz spricht, wird auch zum Herzen hinfinden und das Wissen darum, daß Du es mit der gleichen Bereitschaft aufnimmst wie es von mir ausgeht, läßt es mich vertrauend sprechen. Je tiefer das innere Erleben ist, umso schwerer wird es sein es vollkommen auszudrücken, doch wenn wir uns darum mühen, wird dem Willen es ganz zu sagen, auch das Vollbringen werden.
Möge es so sein, daß ich Dir in meinen Briefen die Hand reiche und mit Dir durch alle Kammern meines Herzens schreibe. Hinter jeder Türe, durch die wir hindurchgegangen, wird sich eine neue auftun bis wir zu einer gelangen, die mir selbst verschlossen ist. (wer vermag die letzten Tiefen des eigenen Wesens zu erfassen?) Wer weiß wieviel Kammern noch dahinter liegen! Den Schlüssel zu dieser Türe hat Gott in der Hand und Er wird sie uns auftun, Dir und mir, zur rechten Zeit.
Du schreibst vom Geben und Nehmen in unserem Briefwechsel; ich glaube aber, es ist nur scheinbar so wie Du es siehst. Wenn jeder von uns in unserer Gemeinschaft sein ganzes Ich zum Einsatz bringt, wird sie für uns beide gleich fruchtbar werden. Die Zeit, in der wir jetzt stehen, verlangt diesen Einsatz in anderen Formen als es der gewohnten Ordnung entspricht. Und doch ist es auch so ein lebendiges Geben und Nehmen, ein beglückendes Hinüber und Herüber, wenn Du auch jetzt nicht so viel dazu tun kannst wie Du gerne möchtest. Daß Du da bist, wie Du auf dem Platz stehst, auf den Du gerufen wurdest, daß Du an mich denkst und ich Dir etwas sein darf – das alles ist schon reiches Empfangen für mich und ich konnte erfahren, wie viel es in mir wachgerufen hat.
Wenn die erste Zeit der Ausbildung erst einmal vorüber ist, wirst Du wohl auch mehr Gelegenheit zum Schreiben haben. Solange Du in Aachen bist werden wir uns sicher noch öfter sehen können. Ich freue mich sehr auf Sonntag. Von den Stunden des Beisammenseins läßt sich dann wieder lange zehren.
Unsere kleine Elisabeth ist sehr krank. Sonntag war sie noch guter Dinge, dann bekam sie plötzlich hohes Fieber und gestern stellte der Arzt doppelseitige Lungenentzündung fest. Das hat sie nun schon zum vierten Mal und wir sind alle sehr in Sorge um sie, besonders unsere Mutter. Wieviel Liebe und Mühe bringt die Familie, der Arzt und vor allem die Mutter auf, um so ein kleines Menschenleben zu erhalten, wenn es in Gefahr ist und da draußen auf den Schlachtfeldern sterben Tausende dahin ohne ein tröstendes Wort, eine sorgende Hand und einen liebenden Blick gespürt zu haben. Sie alle, ob Bruder oder Feind, sind Kinder einer Mutter – wie unvorstellbar groß ist da das Leid, das der Krieg über die Menschen bringt; man ahnt etwas davon, wenn man sieht wie eine Mutter um ihr Kind ringt. Wir wollen hoffen und beten, daß sie es auch diesmal wieder gut übersteht. Nicht nur das Leid, das uns persönlich bedrückt, auch
die große Not, an der die ganze Menschheit in unserer Zeit zu tragen hat, wollen wir vertrauend betend und bittend vor den Herrn tragen. Nur in Ihm können wir sie überwinden und für uns und alle fruchtbar werden lassen. Er, dem das Leid der Mutter von Nain so zu Herzen ging, daß Er es aus seiner göttlichen Macht zur Freude werden ließ, wird sich vor dem Leid, das heute eine ganze Welt zu tragen hat, sicher nicht verschließen.
Ob das Schwert zu unseren Häuptern, von dem R. Schneider spricht, noch aufzuhalten ist, oder ob es noch tiefere Wunden schlagen wird – wir wissen es nicht.
Daß Gott aus all dem Unheil Segen wirke, dazu wollen wir unser Anteil geben, indem seine göttliche Liebe immer mehr Besitz von uns ergreife. Denn in seiner Liebe ist der Haß und die Bosheit dieser Welt wahrhaft überwunden.
August, mit diesen Gedanken grüße ich Dich von Herzen
Deine Marga.