Marga Ortmann an August Broil, 11. Mai 1943

29. Köln, den 11. Mai 1943.

Mein lieber August!

Gestern mittag kam mir Dein Brief aus Aachen und in ihm bist Du selbst zu mir gekommen. Dein ganzes Sein mit seiner Entwicklung hat sich mir darin aufgetan. Gleichnishaft, bildhaft stellst Du es mir dar und ich darf es schauen immer wieder darin lesen, es ganz tief in mich hineinnehmen, um es zu deuten. Und ich glaube, daß ich Dich gerade in dieser Sprache tiefer zu verstehen vermag, als Du vielleicht annimmst.

So stehst Du jetzt vor mir mit all dem früher Erlebten, das Dein heutiges Sein mitgeformt und geprägt hat. Und so wie Du bist und ich Dich immer besser und klarer erkennen kann, gehört Dir meine ganze Liebe; weil Du mir so aus der Hand des Herrn gegeben bist. Da mein Weg auf den Deinen stieß und sich anschickt mit diesem ein einziger, gemeinsamer zu werden, schaust Du zurück auf die Strecke Weges, die bereits hinter Dir liegt und es war Dir wohl ein fast schreckhaftes Erkennen, daß Deine Entwicklung bis zu unserer Begegnung eine ganz andere war als die Meine. Die Geradheit meines Weges schien mir so selbstverständlich und erst jetzt geht es mir auf, wie dankbar ich doch dem Herrn sein muß, daß er mich bisher so geführt hat, daß er mich vor vielen

Stürmen bewahrt hat und mich Dir so begegnen ließ mit der ganzen, ungeschwächten Fülle der Kraft, die er in jedes Menschenherz hineingelegt hat. Das ist ja alles ganz ohne mein Zutun geschehen, ohne irgend ein Verdienst: ein freier Gnadenerweis Gottes. Er wollte mich für Dich so bewahren und hat daher noch keine Bewährung von mir gefordert, die an andere schon so früh herantritt. So durfte ich wie eine geschlossene, taufrische Knospe bleiben, die vor jedem gewaltsamen Öffnen geschützt, sich erst der warmen, durchdringenden Kraft der Sonne auftut.

Es scheint mir für unsere Gemeinsamkeit notwendig zu sein, daß Deine Entwicklung einen anderen Weg genommen hat, daß Du bereits höher und tiefer in das Leben hineingeschaut hast und so eine gewisse Erfahrung – mag es auch eine schmerzliche sein – in unsere Gemeinsamkeit mit hineinbringst, die mir gänzlich fehlt. Es kommt ja darauf an, daß jeder von uns sein ganzes Ich zum Einsatz bringt und versucht, daß Äußerste aus sich herauszuholen. Gerade daß jeder Anderes in unsere Gemeinschaft hineinträgt wird uns zu einer fruchtbaren, gegenseitigen Ergänzung und Förderung bringen, die uns erst zur Erfüllung des vollen Menschenlebens befähigt.

Mein lieber August, ich danke Dir, daß Du mir in Deinem Brief etwas mehr von Deinem Wesen gezeigt und gesagt hast. Ich will es in mich hineinnehmen und hüten wie eine Kostbarkeit. Du hast mich damit keineswegs belastet; es war mir nur wie eine Bestätigung

dessen, was ich längst gespürt und erahnt habe.

Ich weiß wie schwer es Dir wird aus dem Verborgenen heraufzuholen und es ist gut so wie Du es getan. Vielleicht wird sich nun das alles in Dir immer mehr lösen und klären, sodaß Du mir, wenn wir wieder beieinander sein dürfen, einmal alles sagen kannst, was Dir an Schwerem und Hartem in Deinem Leben begegnet ist. Ich möchte Dich ja so gerne ganz verstehen lernen, so wie Du mich verstehst und in meinem Brief wieder verstanden hast, zu dem Du mir keine bessere und klarere Antwort hättest geben können als die: in der Erfüllung des Menschenlebens auch die Erfüllung reinster Liebe und Hingabe an den Schöpfer zu sehen und zu erwarten.

Du August, wir wollen dem Herrn aus ganzem Herzen danken, daß Er unser beiden Leben so und nicht anders gefügt hat. Er schickt uns ja immer das, was uns not tut und will unser Heil auch dann, wenn Er uns einmal eine Strecke durch Nacht und Dunkel führen sollte.

Wir wollen uns unserer Gemeinsamkeit freuen und darin die Forderung Gottes an uns erkennen, in der wir durch unser Leben mitwirken sollen an Seiner Ehre und Verherrlichung. Das ist ja die größte und erhabenste Aufgabe, die uns in der Verbindung miteinander gestellt ist. Voll Vertrauen wollen wir sie zu verwirklichen suchen.

Ich grüße Dich in herzlicher Freude Deine Marga.