Marga Ortmann an August Broil, 29. Juni 1943

Köln, am Fest Petrus + Paulus.

Du, mein lieber August!

Gott Dank, wir leben noch – das ist das erste, was ich Dir sagen will. Laß mich bei Dir einen Augenblick verweilen und ausruhen von all dem Furchtbaren, das ich in den letzten Stunden gesehen und erlebt habe. Ich möchte meinen Kopf an Deine starke Schulter legen, damit Du mir hilfst nicht schwach zu werden. Es war, als ob die Hölle losgelassen sei in dieser Nacht. Unsere Familie war mit den notdürftigsten Kleidern und einigen Wertsachen im Keller. Unaufhörlich wurde das Haus eine Stunde lang von den Detonationen der Sprengbomben erschüttert. Ich habe im Gebet um unser Leben gerungen in dieser Stunde und dennoch war eine tiefe Ergebung in mir und das Bewußtsein, daß diesmal viel von uns gefordert werde. Durch den Einschlag einer Sprengbombe kaum 100 m von unserem Haus fiel der Kalk von den Wänden des Kellers und wir wären wohl in der Staubwolke erstickt, hätten wir nicht ein nasses Taschentuch vor Nase und Mund halten können. Zwischen dem Lärm der Einschläge und dem Sausen der Motore ganz dicht über uns, hörten wir es im Haus klirren und rieseln und bald nach einer ganz heftigen Erschütterung knisterte es im Hinterhaus schon vom Feuer. Als es etwas ruhiger wurde, habe ich versucht mit Vater die baufällige Kellertreppe hinaufzukommen. Da stand das

Hinterhaus schon in hellen Flammen. Wir kamen noch mit Mühe und Not bis zur 2ten Etage da schlugen uns auch da noch die Flammen entgegen, das Treppenhaus brannte schon und es war ein Weiterkommen unmöglich. Nun galt es nur allen so schnell wie möglich aus dem Keller zu helfen, denn das Feuer war vom Hinterhaus aus übergegriffen und war nicht mehr weit von der Kellertreppe entfernt. Wir haben dann unsere letzten Habseligkeiten, die wir bei uns hatten – als einzige Kiste konnten wir meine Aussteuersachen noch aus dem Keller schaffen – mitten auf dem Ring zusammengelegt und mußten zusehen, wie das Haus und alles darin, woran das Menschenherz hing, in Flammen aufging. Vor Rauch und Qualm konnte man sich gegenseitig kaum erkennen, die Straße war mit brennenden Kanistern übersät, wir versuchten in der Nachbarschaft zu Bekannten zu kommen, aber an ein Durchkommen war nicht zu denken. Da kam Richard auf seinen Krücken und sagte bei ihnen sei noch alles heil, da haben wir die Eltern und die Zwillinge zuerst hingebracht, wo sie nun in der Wohnung von 2 alten Leuten, die von Köln weg sind, 2 kleine Zimmer im Unterhaus des Anbaues vorläufig untergekommen sind. Ich dachte gleich an Marlis, die ganz allein mit

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den Kindern war. Wir haben mit Cordula gleich versucht durchzukommen, wo wir hinkamen ein Meer von Flammen, entsetzte Menschen, denen das Grauen aus den Gesichtern spricht, weinende Frauen mit kleinern Kindern auf dem Arm, Männer, die noch das Letzte zu retten versuchten. Als wir nach langen Umwegen zur Cordulastr. kamen, stand auch da alles in Flammen. Therese, Kätchen und Weyerstraß hatten noch einiges in den Hof des Gefängnisses retten können. Sepp Will war bei ihnen gewesen und hatte – selbst ganz ausgebrannt Henny und Marlis mit den Kindern in irgend einem Notquartier gesehen. So haben wir also alle das gleiche Los zu tragen. Helfen konnte man niemand und man fühlte sich noch zu stark, um dem allen ohnmächtig zuzusehen. Wir brauchten über eine Stunde, um wieder zur Hermann Beckerstr. 10 zu kommen. Dann sind Finni + ich noch zum Gereonsdriesch in die Kapelle des Klosters. Wie fühlte ich mich in der Gegenwart Gottes geborgen, hier dürfen wir immer ganz zu Hause sein, nachdem wir unser Heim haben lassen müssen. In betender Stille – ich konnte meinen Dank dafür, daß wir noch alle gesund waren und die Gefühle meines Herzens garnicht in Worte fassen. eine tiefe Ruhe, wie ich sie selten verspürt habe, kam über mich. Ich habe

nur um Starkmut gebetet für alle, die in dieser Nacht so schwer heimgesucht worden sind. Du hättest sehen müssen wie groß meine Eltern das Schwere hinnahmen, keine Klage, keine Träne nur ein dankbares Beten, daß wir noch alle gesund beieinander sein durften. Als es Morgen wurde sind Finni + ich mit Cordula auf ihr kleines Zimmer gegangen, wo wir uns ein paar Stunden hinlegten. An Schlaf ist ja nicht zu denken, den lassen die jagenden Gedanken nicht aufkommen. An meinem geistigen Auge zogen all die Dinge vorüber, die mir wert gewesen sind, die Bücher und alles, woran das Herz hing. Ich wollte alles noch einmal behutsam in die Hände nehmen, um dann für immer lassen zu können, nicht nur unter dem Gesetz des Müssens, sondern aus der inneren Freiheit heraus. Vielleicht können wir damit, indem wir all das Schwere bewußt aufnehmen, dem Herrn ein wenig Sühne leisten für die maßlose Beleidigung, die die frevelnde Umkehrung der von Ihm gesetzten Ordnung seinem gütigen Vaterherzen bereiten muß. Jetzt können wir also unter Beweis stellen ob es uns ernst ist mit all dem, was wir uns in den letzten Jahren erarbeitet haben, ob wir nicht nur in guter Stunde sprechen konnten: Herr, ich bin bereit zu allem was Du von mir verlangst, sondern auch jetzt, wo wirklich unsere Stunde gekommen ist.

Eines ist mir noch geblieben, das Kostbarste, unter allem, weil es Ausdruck dessen ist, was unzerstörbar ist: Deine und meine Briefe. Ich bin so dank-

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bar, daß ich die noch behalten durfte. Ach, Du mein lieber August, wie gut ist es doch, daß der Herr uns einander gegeben hat in dieser Zeit, wo von allen Schwerstes gefordert wird. Keiner von uns brauch mehr alleine zu stehen, alles was an Freude und Leid im Leben für einen zu schwer ist, können wir nun gemeinsam tragen. Wir wollen beide darum beten, daß uns der Herr dazu stark mache. Ich muß nun ganz stark bleiben, um vor allen Dingen den Eltern helfen zu können mit dem Schweren fertig zu werden. Ist dieses die Hefe des Kelches, den sie in ihrem Leben trinken mußten? Wie schön war es, daß wir uns heute morgen nach all dem Geschehen in der Krypta von Gereon am Tisch des Herrn zusammenfanden. Der Raum war ganz finster, nur durch einige Kerzen am Altar erhellt: so muß es wohl auch in den Katakomben gewesen sein.

Du, mein Liebster, ich bin innerlich jetzt so ruhig, glaube mir, ohne die leiseste Bitterkeit. Wir wollen froh sein, daß der Herr nicht noch größere Opfer von uns gefordert hat.

Nun ist Deine Marga ganz arm, lieber August und von all den äußeren Dingen, die das Leben schön und angenehm gestalten können, kann ich Dir nichts mehr geben. Aber den

ganzen Reichtum meines Herzens schenke ich Dir ohne jeden Vorbehalt; der gehört ja zu jenen Gütern, den die Welt nicht geben und nicht nehmen kann, gebe Gott, daß wir uns ihn in allen Stürmen erhalten können.

Während ich Dir schreibe, sitze ich im Zimmer Deiner Eltern, zu denen ich meine Zuflucht genommen habe. Wie dankbar bin ich ihnen für die Liebe und Teilnahme, die sie mir entgegenbringen. Eben habe ich etwas geruht und gleich will ich versuchen früh etwas zu schlafen, damit auch der ganze Mensch, körperlich und seelisch den Anforderungen gewachsen ist, die an ihn noch gestellt werden.

Liebster, denke an uns im Gebet, wir haben es jetzt so nötig. Meine Gedanken bringen mich immer zu Dir hin.

Sei von Herzen froh und still gegrüßt von

Deiner Marga.

Bei Deinen Eltern ist Gott sei Dank noch alles in Ordnung. Sie lassen Dich herzlich grüßen.