Marga Ortmann an August Broil, 19. November 1943
Elisabeth
Du warst Trägerin göttlicher Liebe
als Du in Demut und stillem Erbarmen
hingingst zu den Kranken und Armen,
die Deiner Liebe sich anvertraut.
Du Mutter aller und reine Braut.
Du Kämpferin um den Sieg der Liebe.
O, breite auch jetzt Deine schützende Hand
über die Menschen und über das Land,
dem einst Dein Segenswerk gegolten hat;
sei des Tröstens und Segnens auch jetzt noch nicht satt.
Sende auch in unsere Zeit
von Deinem opferfrohen Geist,
auf daß die Liebe Wurzel werde
für heiliges Wirken auf deutscher Erde.
19.XI.1938.
Am Festtag der Hl. Elisabeth 1943.
Mein lieber August,
ich habe Dir die Worte aufgeschrieben, die ich vor fünf Jahren einmal zu formen versucht habe und heute am Festtag der großen Heiligen wieder in mir lebendig wurden. Damals stand ich allem, was die Heiligenverehrung anging, fremd gegenüber. Dann war St. Elisabeth die erste, zu der ich ein inneres Verhältnis empfand, nachdem ich mir ihr Leben etwas eingehender betrachtet hatte. Es ist gut, daß uns die Kirche an den Festtagen immer wieder das Bild der Menschen vor Augen hält, die es wirklich verstanden haben, ihr ganzes Menschsein aus dem Glauben zu formen und zu gestalten. Uns ist die gleiche Berufung geworden wie ihnen: „Das ist der Wille Gottes, Eure Heiligung!“, darum ist es gut, wenn wir unser Leben nach dem Ihrigen ausrichten. – Du, wir haben uns Gedanken gemacht über den Ruf, den Aufschrei unserer Zeit nach der Liebe, der versteckt und unbewußt, nicht ausgesprochen und unverstanden im Toben des Hasses vernehmbar wird. Ist es nicht auch der Ruf nach dem Menschen, der aus der Liebe lebt, wie Elisabeth es getan hat? Wir müssen immer
wieder beten und bitten: Herr, sende Liebende, die deine Liebe zu den Menschen tragen; erwecke Seelen, die durch ihre Großmut alle Wunden heilen, alle Schäden ausgleichen, die deinem hl. Leib zugefügt werden. Laß, trotz unserer Unzulänglichkeit, einen Funken deiner Liebe in uns entbrennen, die die hl. Elisabeth ganz verzehrt hat. Möge durch das Wirken Deiner Gnade in uns, die Liebe wieder Raum gewinnen in der Herzen der Menschen!
Mein Liebster, die Zeit, der Alltag, das Geschehen der Bosheit in den Nächten fordert uns ein mit Unerbittlichkeit. Doch es darf uns nicht versklaven, wir wollen uns in all der Hast und Not die innere Freiheit bewahren; und es gelingt uns, denn die Kraft, die uns zur Höhe zieht und das Sehnen, mit dem wir uns die verborgenen Schatzquellen menschlichen Lebens zu eigen machen wollen, ist stärker und von noch größerer Unerbittlichkeit. Wir spüren es und wollen uns dessen freuen.
Mein lieber August, nicht viel kann ich Dir heute sagen, wir wollen gleich noch Mutters Namenstag mit der ganzen Familie im hl. Opfer begehen. Aber auch in dem wenigen, und sei es nur ein
ganz kurzes Wort, können wir immer zueinanderkommen. Danach drängt es mich, jeden Tag und in Gedanken kann es ja auch immer geschehen. Wenn es aber im geschriebenen Wort geschehen kann, indem ich an Dich schreibe und erst recht, wenn ein Brief von Dir zu mir kommt, dann ist es eine ganz besondere Freude. Du wirst jetzt sicher so viel zu tun haben, daß Du nur selten dazu kommst. Wenn ich einmal länger warten muß, dann hole ich mir die letzten Briefe immer wieder vor und ich spüre, daß sie eigentlich nie endgültig beantwortet werden können, wenigstens nicht in Worten, und desmal treten andere Gedanken besonders in Erscheinung.
Nun ist es Abend geworden. Nach einem langen bösen Fliegerangriff will ich den Brief beenden, er soll zum Sonntag bei Dir sein.
Gute Nacht, Liebster, ich wünsche Dir den Segen des Herrn
Deine Marga.