Marga Broil an ihre Familie, um den 22. November 1944

„Freuen soll sich der Himmel und jauchzen die Erde vor dem Angesichte des Herrn: denn nun ist Er gekommen.“

Meine lieben Eltern, liebe Finni und Elisabeth!

Es will Weihnachten werden und zum ersten Mal muß Eines Eurer Kinder im Brief zu Euch kommen, um wenigstens geistiger Weise mit Euch zusammen das Fest zu begehen. Ich hoffe, daß es unseren Zwillingen vergönnt ist, wirklich bei Euch zu sein und dann gilt auch Ihnen mein Gruß und mein Gedenken. Laßt uns an diesem Tage alle Sorgen und Beschwer, allen Kummer des Herzens einmal von uns allen und in heiliger Freude Seine Ankunft, die Er gnadenhaft unter uns erneuert, in uns heilige Wirklichkeit werden lassen; auf daß Sein göttliches Leben schöner und herrlicher in uns erstehe.

Ich höre die Leute sagen, es ist ein armes, trauriges Weihnachten dieses Jahr. Es lastet freilich auf uns die Not der Zeit, all die Not, die über die Menschen gekommen ist. Wir sind arm geworden, mit leeren Händen muß ich zu Euch kommen, nur die Gaben des Geistes kann ich Euch entbieten und die wenige Habe, die noch geblieben ist. Für Vater sind wohl noch Zigarren dabei und eine Flasche Cognac, für Mutter die Wäsche und Schürzen und was sie sonst noch brauchen kann, für Finni ein Karton feines Schreibpapier und das Buch „Die dunkle Nacht“, für Elein fällt mir im Augenblick nichts Passendes ein, aber ich hoffe daß Finni etwas finden wird.

Wie schön war es voriges Jahr Weihnachten noch, als wir alle im Dom gemeinsam die Christmette feierten und wir an der Gestaltung mithelfen durften, gleichsam als Geschenk der Jugend an die Eltern; wie wir dann in unserem neuen Heim um den schlichten Christbaum standen – ich höre noch Vater das Lied anstimmen, das von jeher unsere häusliche Weihnachtsfeier eingeleitet hat: Ihr Kinderlein kommet. Ja Vater, Du magst es auch heute wieder anstimmen und jedes Jahr wieder und Du

darfst gewiß sein, daß Deine Kinder, mögen sie noch so weit von Euch getrennt sein mit ihrem Herzen den Weg zu Dir und Mutter finden, über alle Räume der Trennung hinweg, und in Dankbarkeit und Liebe Eurer gedenken. Wieviel hat Mutter es sich immer kosten lassen uns an dem Tag, da der Herrgott uns die größte Freude bereitet hat, zu erfreuen. Keine Stunde war ihr zu spät und zu früh dazu. Seitdem ich selbst das kurze Glück des Mutterseins erfahren durfte, weiß ich erst, was wir Kinder unserer Mutter alles zu danken haben. Wir wollen es tun durch unser Gebet und unser Leben; daß die Eltern einmal vor den Herrn hintreten können am Ende ihres Lebens: „Herr, hier sind sie, die Du uns anvertraut hast, wir haben sie gehütet; sieh‘ keines von denen, die Du uns gegeben hast, ist verlorengegangen!“

Äußerlich ist uns die Gestaltung des Festes nicht mehr so möglich, wie wir es gewohnt waren. Alle Dinge sind uns genommen worden. Ist unser Blick dadurch freier geworden dür das Eigentliche und Wesentliche? Kann durch all die Entbehrungen nicht erst recht Weihnachten in uns werden, Ankunft des Herrn; sind wir so dem Kind in der Krippe nicht viel näher, das in Armut und Verlassenheit den Weg zu unserer Erlösung begonnen hat? Je inniger wir uns dem menschgewordenen Gottessohn verbunden wissen in Liebe und Leid, umso stärker kann uns auch die Freude erfassen, die uns am Fest Seiner Geburt geschenkt wird. Wir wollen uns dieser Freude ganz weit auftun, auch die räumliche Trennung soll sie uns nicht trüben.

Die Verheißung der Weihnachtsbotschaft: „Friede den Menschen, die guten Willens sind!“ müßte sie nicht gerade die Menschen unserer Tage, die im Toben des Hasses nichts mehr ersehnen als Frieden, aufhorchen lassen und umformen zu solchen, die „guten Willens sind“? Möchten doch alle erkennen, daß der Weg zu jenem äußeren Frieden, den sie ersehnen, nur über den inneren Frieden, die rechte Beziehung

zu Gott führen kann. Wie dankbar müssen wir doch dafür sein, das erkennen zu dürfen und wie froh läßt es uns sein, wenn wir am Fest der Geburt des Herrn wieder gewahr werden dürfen, was es ist um den Frieden, den die Welt nicht geben aber auch nicht nehmen kann.

Könnten wir doch von der Freude, die uns kommt vom Herrn, austeilen an die vielen Menschen um uns mit den verhärmten Gesichtern und an die, die innerlich hohl und leer sind. In vielerlei Bildern begegnet uns täglich die Erlösungsbedürftigkeit der Welt und wir erschauern vor der ungeheuren Größe der Erlösungstat des Herrn, die alles Menschliche, Unzulängliche, Kranke und Sündhafte heimholt in die Liebe des Vaters und immer noch dabei ist, es zu tun.

Was klingt nicht alles in uns auf bei der Feier der Geburt unseres Herrn. Die ganze Erhabenheit der Größe und Liebe Gottes und die Unzulänglichkeit unserer Menschlichkeit, die ein unüberbrückbar scheinender Abgrund voneinander trennt. Aber die ewige Weisheit und Liebe Gottes hat uns in der Erlösungstat Seines Sohnes die Brücke geschlagen, die ans andere Ufer führt. Unser ganzes Leben ist ein Unterwegs-Sein dorthin.

Hier im Bauernhaus helfe ich mit das Fest zu bereiten. Mit den Kindern Elisabeth (4 Jahre) und Elfriede (6 Jahre) singe ich Weihnachtslieder, ehe ich herkam konnten sie fast noch kein Lied singen. Die Weihnachtsbäckerei haben wir schon zum größten Teil hinter uns, nun wird noch geschlachtet und im Hause groß Reinemachen gehalten. Ich fasse überall mit an und es macht mir Freude, aber es wäre doch alles viel viel schöner, wenn man für die eigene Familie etwas tun könnte.

Hoffentlich gelingt es mir, Weihnachten nach Ülzen zu fahren, um am Fest der Geburt des Herrn an Seinem Opfer teilzunehmen. Ich stelle mit das schon so schön vor, 4 km Fußweg durch die verschneite Heide, 20 km Bahnfahrt und dann nach dieser kleinen Wallfahrt im Hause des Herrn in Seiner heiligen Gegenwart eine Weile zu Hause zu sein. Es ist doch

etwas Großes um unser Katholisch-Sein. Wir können uns in der Fremde noch so einsam und verlassen vorkommen, überall in der Welt gibt es für uns eine Stätte, wo wir uns wirklich daheim fühlen können, wo uns das bleiche Geschehen empfängt, der gleiche Herr unser wartet, wie daheim in unserem lieben Köln, unserer nun aus tausend Wunden blutenden Heimatstadt. Wenn ich so am Weihnachtsfest wieder das Glück habe, vor den Herrn treten zu dürfen – hier in der Diaspora lernt man das erst richtig schätzen und nimmt es jedes Mal als Geschenk entgegen – dann bin ich in Gedanken ganz fest bei Euch, damit all meine guten Wünsche Euch zukommen mögen. Was kann ich Euch besseres wünschen, als das, was Paulus den Römern schreibt: „Der Gott der Hoffnung aber erfülle Euch mit jeglicher Freude und mit Frieden durch den Glauben, damit Ihr überströmet von Hoffnung und von Kraft des Heiligen Geistes.“ Gott selbst ist der Garant unserer Hoffnung, darum kann auch die größte Trübsal sie uns nicht rauben, und mit der ganzen Kühnheit des Glaubens behalten wir die frohe Zuversicht.

Möge der Herr Euch das Fest Seiner Geburt in ungetrübter Freude erleben lassen. Gnade, Friede, Freude und Heil sei mit Euch

Eure Marga.

Schickt August doch bitte einen Weihnachtsgruß.

Habt Ihr meine Briefe vom 8.XI. 14.XI. 26.XI. 28.XI. 1.XII. 4.XII. und Finni vom 19.XI. erhalten? Und Echen mein Päckchen?

Ich habe so lange keine Nachricht von Euch, seit August bei Euch war habe ich nichts mehr von Euch gehört.