Marga Broil an ihren Mann August, 6. Dezember 1944
5. Reinstorf, den 6. Dezember 1944.
27/2.45.
Mein lieber August,
es ist noch ganz früh am Morgen, die Frauen sind mit dem Vieh beschäftigt und die andern schlafen noch. Ich will die Gelegenheit des Alleinseins nutzen zu einem Wort an Dich, denn dazu möchte ich mich abschließen gegen alles Äußere, auf daß nichts einzudringen vermag in das Glück der Gemeinsamkeit von Dir und mir.
Die gemeinsamen Tage, ihr Erleben und die Gespräche, die wir darin miteinander geführt haben, sind den rückgehenden Gedanken immer wieder Anlaß zum Verweilen.
Oft habe ich noch an das Gespräch denken müssen, bei dem unsere Ansichten so weit auseinandergingen. Wozu ich mich zutiefst verpflichtet fühlte, betrachtetest Du als Anmaßung und unberechtigten Eingriff in das Leben des anderen. Du meintest jeder Mensch erhielte soviel Gnade, daß er selig werden könne und wäre deshalb auch allein für sich verantwortlich und bedürfe der Hilfe eines anderen nicht. Daß jedem Menschen die Möglichkeit zu dem Leben gegeben wird, das Gott von ihnen erwartet und die Gnade dazu, ist mir klar, aber mit der Folgerung, die Du daraus ziehst, kann ich nicht einig gehen. Gnade ist doch nicht nur die unmittelbare Einwirkung Gottes auf die Seele, - das ist wohl die vorzüglichste aller Gnaden – sondern auch jede gute Stunde und Gelegenheit des Tages
jede Begegnung mit Menschen, die uns gut sind, und jede Möglichkeit zur Bewährung und Prüfung, die uns gegeben wird. Und ist es nicht möglich, daß der Herrgott unser armes, kleines Menschentun mit einbezieht in das Gnadenwirken, das Er an einem anderen Menschen vollziehen will? Ob Er damit nicht das Maß der Gnade, dessen der andere bedarf, voll machen will? Wenn wir glaubten, Er bedürfe dessen, was wir aus uns selbst vermögen, das wäre Vermessenheit, aber daß sich Seine Gnade unser als Werkzeug bedienen will, davon bin ich überzeugt. Das trifft generell für alle Menschen zu, kann doch oft das unbewußte Wort eines Kindes den Funken in uns zum Glimmen bringen. Mir ist es oft schon ergangen, daß ich nach der Unterhaltung mit einem anderen Menschen einen seiner Gedanken so tief in mich aufnahm, daß ich fest davon überzeugt war, daß ich ihm wegen dieser Bereicherung allein begegnet sein mußte. Die Forderung, die die gleiche Begebenheit an den Einzelnen stellt, mag freilich verschieden sein. Für Dich mag die Begegnung, die Anlaß unseres Gespräches war, keine Forderung gewesen sein, während sie für mich verpflichtend war. Richtschnur ist auch hier, wie in allen Entscheidungen, das Gewissen. Wenn es uns gelingt unser Gewissen rein und unverlogen zu bewahren und unser Tun und Lassen stets danach ausrichten, dann wird es gut sein und vor Gott bestehen können.
Du hast die Unterschiedlichkeit unserer Einstellung in
diesen Dingen mit der Verschiedenheit der Entwicklung zu erklären gesucht, die wir bis zu unserer Begegnung genommen haben. Das wird gewiß Einfluß darauf haben, aber ich glaube, daß der eigentliche Grund tiefer zu suchen ist und in der Stellung des Einzelnen zu Gott liegt.
Wir haben voriges Jahr in unseren Briefen über das Gebet gesprochen, als der tiefsten persönlichen Äußerung des Menschen, und dabei haben wir schon den Unterschied zwischen Deiner und meiner Haltung erkannt. Sie wird sowohl von der inneren Veranlagung wie der Erziehung und Entwicklung des Einzelnen bestimmt. Jeder steht eben in sseiner Einmaligkeit vor Gott, darum läßt sich nicht die eine Haltung gegen die andere abwägen. Es kommt nur darauf an, daß jeder sich bemüht, das Bestmöglichste aus sich zu machen.
Du weißt, daß meine Haltung Gott gegenüber, der des Kindes zum Vater entspricht; das Du ist Er mir, dem ich in allen Gegebenheiten meines Lebens begegnen darf. So sehe ich in jeder Situation, in die ich hineingestellt bin, eine unmittelbare Forderung Gottes an mich und meine Stellungnahme zu den Geschehnissen des Lebens ist immer auch eine Hinwendung zu Ihm. Ach August, ich komme damit wieder zu den letzten Tiefen des Herzens, indem ich Dir davon sage, und ich wage kaum, mehr darüber auszusagen. Aber wir sind uns ja gegeben zur schönsten, innigsten Gemeinsamkeit, die es auf Erden gibt, und die umschließt ja auch diese heiligen Bezirke.
Sieh‘ und aus meiner Haltung Gott gegenüber ist auch meine Einstellung den Dingen des Lebens gegenüber zu erklärern. Darum kann mich das Leid der Menschen und alles Unrecht, das geschieht, so tief bewegen, weil ich an dem Unrecht, das Gott damit angetan wird, nicht teilnahmlos vorübergehen kann. Das ist für mich oft eine solche Belastung wie das persönliche Geschick sie nicht stärker auszulösen vermag. Dem steht aber auch ein besonders tiefes Erleben alles Hohen, Schönen und Glückhaften gegenüber, das mich wieder zu einer besonsderen Hinwendung zu Gott aufruft. Ach Liebster, wenn mir im Einssein mit Dir das höchste menschliche Glück zuteil wurde, dann hätte ich nachher ein Te deum singen mögen, voll Jubel und Dank an den Herrn, der uns das alles so fein und tief erleben ließ.
Liebster, tu Dein Herz weit auf für alles, was ich Dir mit diesen Worten sagen möchte und was sonst noch an Gutem und Schönen in dieser Stunde und alle meine Tage zu Dir hindrängt.
Mein August, ich denke so froh an Dich
Deine Marga.