August Broil an seine Frau Marga, 22. Januar 1945

1 O. U. den 22. Jan. 1945

Meine liebe Marga,

zu allererst muß ich Dir vielen, vielen Dank sagen für die Freude, die Du mir mit dem Päckchen bereitet hast. An allem was darin war, an der Verpackungshülle, an der Ordnung des inneren Aufbaues habe ich richtig gemerkt, wie gut es Dir getan hat, mir diese Freude bereiten zu können. Es ist ja so, wie Du so oft bedauernd schreibst, daß zu einer Freude dieser Art kaum Gelegenheit ist. Und doch weiß ich, daß Du mir viel mehr solch kleiner Freuden bereitest als Du denkst. Ich lese ja so oft aus Deinen Briefen, was Du wirkst und tust, wie Du das alles im Gedanken an uns beide tust und wir Du mich immer so in Dein Wirken mit hineinnimmst als wäre ich tatsächlich bei Dir. Deine Gänge und Wanderungen durch die Natur sind ähnlich so. All das kommt dann so zu mir, und auch ich denke mich dann da hinein, meine ich stände leibhaftig bei Dir und könnte Dir dies und jenes zeigen. Manchmal beim Briefschreiben denkt man, all diese Kleinigkeiten müßten den Brief nur belasten und vielleicht sogar langatmig machen – es dürften eben nur hohe und geistige Dinge hin und her gehen. Aber wir erfahren ja täglich mehr, daß auch die alltäglichen Dinge unter den jetzigen Umständen den Wert haben, den wir in sie hineinlegen. Bei allem was wir tun und irgendwie unsere Gemeinsamkeit berührt, denken wir stets daran wie wir es tun würden, wenn wir beide zusammen wären. Wenn unsere Briefe also jetzt zuweilen mehr erzählen und plaudern, dann ist das etwas so Schönes, den anderen Menschen Nahe-Bringendes, das wir leider sagen müssen: wir meinen das immer viel zu viel unterdrücken zu müssen. Für mich trifft das – glaube ich – ganz besonders zu. Nach dieser Einsicht, die ich Dir hier so ohne weiteres hinschreibe

müßte das also jetzt ganz anders werden. – Aber es wird wohl erst langsam kommen nach dem Gesetz der Beharrung.

Aber es war noch eine weitere große Freude in diesem Päckchen enthalten, und das war Dein ganz langer, lieber Brief. Weißt Du, Liebste, ich habe zuweilen richtig „Gewissensbisse“, weil Du mich mit Post so reich beschenkst und ich Deinen Briefen kaum nachkommen kann. Gestern abend habe ich mir ein paar ganz ausgezeichnete Stunden gemacht, in denen ich Deine Briefe, die ich jetzt schon wieder von Dir habe, noch einmal las. Und da war ich wieder so ganz bei Dir. Doch ich habe auch einen praktischen Zweck damit verfolgt. Ich wollte feststellen, was ich noch alles beantworten mußte oder wollte – ich sage es ehrlich: bei der Vielfalt der Gedanken und Probleme, die ich mir im Gedächtnis behalten hatte, wäre ich bald ganz verkommen. Da habe ich erst einmal die Briefe, von denen ich glaube, sie er- und verarbeitet zu haben, ausgesondert und in die Briefmappe gelegt, die ja bei mir durch einen Tabakbeutel dargestellt wird. Was dann noch blieb, war ein ganz ansehnlicher Stoß. Und den werde ich jetzt vornehmen, um Dir meine Gedanken dazu zu schreiben. Dazu kommt dann noch immer so viel Neues, das der Faden garnicht abreißen kann. Ich sehe, wie Du lächelst und schmunzelst über meinen „groß angelegten Plan“ und die kaufmännische Gründlichkeit, mit der ich Deinen Briefen zu Leibe gehen will. Und ich sehe es ja ein, daß ich auf die Dauer nicht daran vorbeikomme, eine Nummer auf die Briefe zu schreiben, die langweilige und unzuverlässige Post zwingt mich leider dazu, auch über die Briefe Buch zu führen. Ich weiß selbst nicht recht, warum ich bei meiner sonstigen Genauigkeit und Gewissenhaftigkeit da aus mir selbst nie heranwollte. Heute habe ich in meinen Kalender die Nr. 1 eingeschrieben. Vielleicht – so wollen wir hoffen, wird diese Zahl nicht mehr so besonders hoch – weißt Du, wie ich das meine? Aber ganz sicher

weißt Du das, die Du doch so voller Sehnsucht bist, die Du doch wartest so viele Tage und die Du immer Ausschau hältst nach dem Glück, das uns so groß und gut vorschwebt. Da muß ich einmal still verhalten, jetzt in diesem Augenblick von Glück zu sprechen. Gibt es denn das in diesen Tagen noch? Ein landläufiges Glück wird wohl schwerlich zu finden sein. Denn darunter verstehen die Menschen – wir nicht ausgenommen – etwas, das aller Sorgen und Nöte enthoben ist, ein Leben, daß gar kein Leben in der Zeit mehr sein kann, weil das eben nicht möglich ist. Und ich meine das Glück könnte uns nur gehören, wenn wir die Kraft haben, das Gute und Schwere gleichermaßen zu zwingen und zum rechten Ausgleich zu bringen. Das müßte in uns das bewirken, was wir glücklich sein nennen.

In den letzten Tagen und Wochen bin ich viel herumgefahren, zum Glück auch oft bei Tage, wenn das Wetter es zuließ. Das schafft viel Abwechslung und schenkt manches kleine Erlebnis. Die Landschaft in ihrer Eigenart prägt sich ein, und zu den vielen erlebten Bildern gesellen sich neue. Heute habe ich mitgeholfen, aus einer zerstörten Wohnung Sachen zu bergen. Das brachte meine Urlaubstage in Köln stark in Erinnerung. Hier ist es nicht anders als überall im Reich. Jeder hängt an dem, was er sich erspart und erarbeitet hat und kann sich nur schweren Herzens davon trennen. Und doch muß es so oft sein. Eine leidgeprüfte Frau, deren Mann als Major bei der Luftwaffe gefallen ist und die in Saarlautern ihre Brauerei und ihr gewiß schönes Haus über Nacht verlassen mußte sagte mir mit Tränen in den Augen: „Der liebe Gott läßt uns von all dem, was wir hier bergen und schützen an materiellen Gütern doch nur das, was Er uns lassen will. Und wenn Er es nicht will, dann können wir uns mühen wie wir wollen, es bleibt uns nichts.“ So stolz wir also sind auf alles, was wir uns

erarbeitet haben und unser Eigentum nennen, wir haben doch alles nur von Ihm zu Lehen. Wir denken daran nicht oft. Würden wir es tun, wir gewännen eine ganz andere, höhere Haltung auch zu den Dingen. Da müssen wir aus „In Spiegel und Gleichnis“ uns den Abschnitt von Jammes: „Von den Dingen“ einmal wieder nahe bringen. Darin kommt diese hohe Haltung den Dingen gegenüber so fein zum Ausdruck.

Meine liebe Marga, ich bin jetzt so beim Schreiben, und ich könnte noch viele Stunden weiterschreiben und mit Dir plaudern und erzählen. Mäßigung und Beschränkung darin brauche ich nicht zu üben, denn dafür sorgen die äußeren Umstände als Soldat. Und ich muß heute wieder Abschied von Dir nehmen. So unmäßig wie Du es warst kann ich also nicht sein. Aber ich weiß, wie rasch Dir die schönen stillen Nachtstunden verflogen sind. Und Du warst in diesen Stunden sehr glücklich.

So sende ich Dir in die Nacht hinein viel liebe gute Grüße, ach und noch viel viel mehr, was ich garnicht aussprechen kann.

Dein August