Marga Broil an ihren Mann August, 25. April 1944
Dienstag, den 25. April 1944.
Mein lieber August,
gestern habe ich wieder einen feinen Tag erlebt, der mich so recht froh gemacht hat. Ganz früh bin ich nach Gladbach gefahren zum Begräbnis von Hans Schnell. Tief greift der Schmerz der Mutter, die ihr Liebstes in die Hand des Herrn zurücklegen muß, ans Herz. Erst seitdem ich weiß, wie fest und tief die Liebe die Menschen binden kann, daß eine Trennung wie ein Zerreißen ist, das tiefe Wunden schlägt; erst jetzt habe ich gelernt den Schmerz anderer zu verstehen und mitzutragen. Als der Sarg in die Erde gesenkt wurde leuchtete die Sonne so schön und das Lied der Vögel klang aus dem nahen Wald herüber: der Trauer fehlte die Trostlosigkeit. Und als am Ende des Totenamtes das Lied: „Christ ist erstanden” aus vielen [..] Herzen erklang, da spürte man im Jubel des Alleluja etwas von der alle Not und alles Leid überwindenden Kraft unseres Glaubens. Vom Tod zum Leben, vom Grab zur Wiege führte mich dann der Weg durch die frühlingprangende Natur. Ich kam an der Wiese vorüber nahe dem Birkenwäldchen, die die unvergeßlichen Stunden unseres Sommer-Sonntages miterlebt hat. Ich hätte das kleine stille Fleckchen Erde segnen mögen aus Dankbarkeit für das, was uns dort geschenkt ward. Von weitem sah ich das Häuschen auf der Ferrenbergstr. liegen, das uns in der Stunde größter Not Heim gewesen ist. Heil denen, die es uns bereitet haben. - Dann stand ich bald im kleinen Heim von Hans + Maria Schwellenbach am Bettchen des neugeborenen Kindleins. Lange habe ich schweigend
still das kleine Wunder des Lebens betrachtet. Voll Freude machte mich Maria auf die Ähnlichkeit mit Hans aufmerksam und ließ mich so recht an dem Glück ihres Mutterseins Anteil nehmen. Wie dankbar nimmt sie jedes Lächeln, jedes Zeichen vom Gedeihen des Kindleins aus der Hand des Schöpfers entgegen. Ich kann Die garnicht sagen wie es mir war, als ich das Kleine in meinen Armen hielt. Wie mag es erst einmal sein, wenn ich unser Kindlein, lebendiges Zeichen Deiner und meiner Liebe, das nun noch unter meinem Herzen schlummert, so in meinen Armen halten darf; wenn ich es zum ersten Mal in Deine Arme legen darf als Gottes schönstes, kostbarstes Geschenk für uns beide! Ach Liebster, ich kann es immer noch nicht fassen, daß das alles für uns garnicht mehr so in weiter Ferne liegt, sondern schon im Begriff ist Wirklichkeit zu werden, herrliche, beglückende Wirklichkeit. - Von solchen Gedanken beseelt war ich nicht fähig gleich in die Straßenbahn zu steigen. Ich wollte das Glück des Empfindens noch ein wenig verkosten und bin so die Strecke bis Thielenbruch zu Fuß gegangen. Genau so sonnendurchstrahlt wie die Natur war auch meine Seele, in die all die herrlichen Bilder sich tief hineinsenkten. Wie gut meint der Herrgott es doch mit uns, wieviel ungezählte Freuden hält Er für uns bereit, wenn wir sie nur mit hellen Augen und offenen Herzen ergreifen. Ich bin durch die frisch-grünen Wiesen geschritten, in denen sich die matt-lila Blüten des Wiesenschaumkrautes auf ihren langen Stengeln wiegten. Ich habe dem Spiel eines Schmetterlingpärchens zugesehen, das sich von Blüte zu Blüte zu haschen suchte. Wie leuchteten in den Gärten die Kirschbäume, in ihrer weißen Pracht eine gute Ernte kündend.
Aus dem Waldboden sprossen überall die saftig grünen Blätter des Maiglöckens hervor, als könnten sie es kaum erwarten, bald ihre weißen Glöckchen hervorstrecken zu dürfen. Von den weißen Sternen der Anemonen habe ich einen großen Busch mit in unser Heim genommen, wo sie mich nun die Woche über noch an die Freude dieses Tages erinnern sollen. Am späten Nachmittag kam ich müde und hungrig und doch so ganz voll von neuer, froher Kraft daheim an. Mein erster Blick galt dem Briefkasten, aber es war noch nichts von Dir da. Wir werden jetzt vielleicht länger auf Post warten müssen, denn seit dem Angriff klappt es garnicht mehr damit.
Liebster, sieh' so reicht uns der Herr, wenn Er uns den Becher des Schweren und Leidvollen gefüllt hat, daß wir fast glauben seine Bitterkeit nicht mehr trinken zu können, auch wieder den Kelch des frohen, glückhaften Erlebens, von dem wir wieder eine ganze Zeitlang zehren können. Manchmal müssen wir unser armes Herz ganz fest in beide Hände nehmen, daß es nicht zerspringt in dem Auf und Ab zwischen beiden Polen, in der Gegensätzlichkeit dessen, was auf es einstürmt. Ich muß Dir das alles schreiben, mein August, denn es wogt so stark in mir, daß ich glaube mit seiner Überfülle allein nicht fertig zu werden. Du aber nimmst es entgegen, wie es von meinem Herzen ausgeht und hilfst mir durch Dein Verstehen. Ich danke Dir dafür, Du mein August, und möchte Dir alles Gute antun, was meine Liebe zu Dir nur ersinnen kann
Deine Marga.