Marga Broil an ihren Mann August, 8. Mai 1944

Montag, den 8. Mai 1944.

Mein lieber August,

wie gut ist es doch, daß ich in den letzten Wochen immer Gelegenheit hatte am Sonntag wenigstens für Stunden aus der Stadt hinauszukommen um mich an der Schönheit und dem Frieden der Natur zu erfreuen. So war es auch gestern wieder. Leni Kohlhas hatte Finni und mich für den Tag nach Honnef eingeladen. Familie K. hat dort in einem kleinen Landhaus direkt am Wald Quartier bezogen. Wir sind trotz des Regens einige Stunden durch den herrlichen Wald gestreift und haben Erinnerungen aus den gemeinsam verlebten Tagen unserer Kindheit ausgetauscht. Die frische würzige Luft tat so gut, ich habe mir die Lungen ordentlich voll gepumpt, damit ich die Woche über noch davon zehren kann. Die kleinen Maiglöckchen hatten sich trotz der Kühle schon hervorgewagt, das erste habe ich für Dich gepflückt und dann noch einen dicken Strauß für unser Heim. Das Bücken machte mir dabei ein wenig Mühe, doch das ist nur der dumme Panzer schuld, den ich jetzt tragen muß. Als wir eine kleine Anhöhe erreicht hatten, leuchtete die Sonne für einige Augenblicke auf und wir hatten einen herrlichen Blick auf den Rhein und das Siebengebirge. In den Gärten stand der Flieder in voller Pracht und erfreute uns im Vorübergehen mit seinem Duft. Die Apfelbäume mit ihren weiß-rosa Blüten boten überall ein so schönes Bild; der Anblick all des Schönen legte sich so tröstend und beruhigend auf das Gemüt, daß man den Krieg fast darüber vergaß, trotzdem er sich im dauernden Geheul der Sirenen und dem Brummen der Flieger so deutlich bemerkbar machte. Bei diesem Gang durch Wald und Feld habe ich hin und wieder das Leben unseres Kindleins gefühlt, es wird jetzt immer

deutlicher spürbar und es ist für mich jedes Mal eine ganz große Freude. Am Abend, als ich müde und hungrig heim kam, habe ich mich noch an Deinem kleinen getippten Brief erfreut. Mein August, Du weißt doch wie lieb mir jedes Zeichen ist, das von Dir kommt, das mir wieder ein wenig erzählt von dem, was in Dir und um Dich vorgeht. Mag es äußerlich auch noch so unscheinbar sein, es greift doch hinein in die Tiefen des Herzens und läßt daraus die Sehnsucht neu und groß aufsteigen, beglückend und schmerzlich zugleich. Mir wird jetzt immer mehr bewußt und ich erfahre es im täglichen Erleben, daß doch das Sehnen zu Dir hin immer mehr mein ganzes Sein erfaßt, Seele und Leib, Herz und Sinne. Ach August, ich danke Dir ja so sehr, daß Du mich nicht alleine zurückgelassen hast, daß Du mir trotz aller Trennung so nahe geblieben bist in unserem Kindlein. Ich kann Dir garnicht sagen, wieviel Kraft mir von diesem Bewußtsein ausgeht, besonders dann, wenn die Sehnsucht mich wie ein Weh ergreift.

Wie Du mir schreibst, hat nun für Dich doch der Aufbruch begonnen, der Beginn zu der großen Veränderung. Das O. U. Vor dem Datum ist für mich wie ein Fragezeichen, es enthält so viele Möglichkeiten. Vielleicht bist Du jetzt schon unterwegs nach irgendwo hin, doch wo es auch immer sein mag, unsere Gedanken finden ja überall zueinander und lassen uns auch in der größten äußeren Vereinsamung über alle Trennung hinweg einander nahe sein. Ganz gleich, welchen Gefahren Du jetzt ausgesetzt bist, ob im Osten, Westen oder Süden, überall weiß ich Dich in Gottes gütiger Vaterhand, in die ich Dich täglich im Gebet empfehle. So laßt uns voll Vertrauen und Zuversicht unser Werk tun, Du dort und ich hier, und die Zeit des Wartens auf unser nächstes Zusammen-

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sein mit heilsamem Tun für unsere Gemeinsamkeit und unsere künftige Familie erfüllen. Ich bin ja doch neugierig, wer von Euch beiden mich zuerst mit seinem Kommen erfreuen wird, Du oder unser Kindlein; im geheimen habe ich ja die Hoffnung, daß Du ihm zuvorkommen wirst.

Heute mittag kam endlich das lang erwartete Schlafzimmer an, die Eltern waren über die Ausführung enttäuscht, aber man muß halt zufrieden sein. Mit dem gleichen Transport ist unser Schlafzimmer nach hier gebracht worden. Wenn nun die Sprungrahmen auch bald kommen, kann ich ja zum ersten Mal nach langer Zeit im eigenen Bett schlafen. Die Möbel von Fr. Derichsweiler habe ich noch mit in das große Zimmer zusammengestellt. Der Raum des Schlafzimmers ist doch größer als ich gedacht habe, außer den beiden Betten, Schrank und Kommode konnte ich noch das Eisenbett aufstellen, in dem ich ja noch einstweilen schlafen muß. Also ist für das Kinderbettchen reichlich Platz da. So kommen wir auch mit den äußeren Dingen immer ein Stückchen weiter und die Arbeit damit macht viel Freude. Matthias kommt morgen sein Schlafzimmer nach Dortmund abholen, er hat Urlaub und will in der Zeit die neue Wohnung einrichten. Lore hatte mich zur Taufe eingeladen, doch sie war gesundheitlich so schlecht zurecht, daß niemand zu ihr durfte. Vorige Woche stand es so mit ihr, daß man das Schlimmste befürchtete, nun geht es langsam besser. Sie war doch wohl den Anforderungen körperlich nicht gewachsen. Hede, die Patin der kleinen Mechthild, hat sich Sonntag mit Anton Jüngling verlobt. Es ist doch immer ein frohmachende Kunde, wenn zwei junge Menschen aus unserem

Kreis sich anschicken, den Weg des Lebens gemeinsam zu gehen. Aus dem eigenen glückhaften Erleben heraus können wir der Freude der Freunde besonders nahe sein. Wie wohltuend haben wir an unseren Hoch-Festtagen die herzliche Verbundenheit der Freunde empfunden, die an unserer Freude so innigen Anteil nahm.

Wie haben wir uns auch damals, am Hochzeitstag von Anneliese und Toni mit den beiden gefreut; und so innig damals die Teilnahme der Freude war, die des Schmerzes und der Trauer um den Tod des Freundes ist noch größer. An der gleichen Stätte, am selben Altar, an dem sie sich das Ja-Wort fürs Leben gaben, haben wir für Toni das Totenamt gehalten. Du hättest Anneliese sehen müssen, mit welchem Starkmut sie das große Leid trägt, während unter ihrem Herzen das neue Leben wächst, das Kindlein, das in seinem Dasein den Vater hier nicht mehr erfreuen kann.

Sei so gut und schreibe Anneliese gelegentlich ein liebes, tröstendes Wort, sie ist so dankbar dafür.

Liebster, ich muß den Brief beenden, es ist spät und von all dem Räumen bin ich redlich müde. Gute Nacht, mein lieber August, wo Du auch immer sein magst, behüt' Dich Gott.

Deine Marga.