Marga Broil an ihren Mann August, 22. Juni 1944
Köln, den 22. Juni 44.
Mein lieber August,
wieder ist ein Wort von Dir zu mir durchgekommen, Dein kleiner Brief v. 10., den Du von der Fahrt geschrieben hast. Das liebende Herz klammert sich jetzt an jedes Wort, an jedes kleine Zeichen, das mir etwas von Dir sagen könnte, und ich versuche mir vorzustellen, wie es Dir zu mute sein mag, wie Dein Leben, das innere und äußere, sich nun gestalten mag. Die Zeitungen bringen täglich Berichte vom Toben des Kriegsgeschehens in Nordfrankreich und ich schaue sinnend auf die Karte: irgendwo in dem weiten Raum stehst Du, Liebster, in vielfältiger Gefahr und doch sicher geborgen, im Toben des Hasses und doch hat die Liebe so weiten Raum in Deinem Herzen, in einer Wirklichkeit, wie sie härter und nüchterner garnicht sein kann und dennoch vermagst Du mitten darin noch dem Lied der Vögel zu lauschen, das von einer besseren, schöneren Wirklichkeit kündet. Ach August, dieses Wissen macht mich so zuversichtlich und läßt mich ganz froh sein. Manchmal, wenn ich mir ausdenke, unter welchen Gegebenheiten Du jetzt leben mußt, dann möchte ich zögern und weiß nicht ob es Recht ist, wenn ich Dir in meinen Briefen von den feinen zarten Dingen erzähle, die mein Leben in der stillen Erwartung auf unser Kindlein nun erfüllen; ob sie stark genug sind die rauhe Wand der Dich umgebenden Welt zu durchbrechen, um in Dein Herz gelangen zu können, oder ob sie an der Härte Deiner Umgebung zu grunde gehen müssen. Aber das Verlangen, Dich an allem teilnehmen zu lassen, was in diesen Tagen mein Leben ausmacht, und das Wissen
darum, daß Du Dein Herz dafür in Liebe offen- und bereithältst, trotz aller es bedrückenden Schwere, läßt mich diese Zweifel bald überwinden. Sieh' so komme ich auch weiterhin zu Dir mit all den kleinen Dingen und Empfindungen meines Lebens, das ja auch im letzten das Deine ist, das jetzt nur aus seinen natürlichen Bahnen herausgerissen worden ist. Es mag klein und unwesentlich erscheinen gegenüber dem weltbewegenden Geschehen, in das Du nun hineingegeben bist, und doch wollen wir den Blick für seine große Wirklichkeit nicht verlieren, denn in der rechten Wertordnung der Dinge, in ihrer Hinwendung zu Gott, wird die Verherrlichung Gottes allein Maß aller Dinge sein. Und darauf haben wir ja unser Leben ausgerichtet, ehe wir begonnen haben es in voller, tiefster Gemeinsamkeit zu gehen und wir wollen es immer wieder neu tun zu Beginn jeden neuen Tages, der uns - ganz gleich an welchem Ort und Umgebung - als Gabe und Aufgabe geschenkt wird.
Im Büro habe ich recht heiße Tage hinter mir, denn ich will alles soweit bei haben, daß ich nächste Woche ein paar Tage nach Wittlich fahren kann, denn ein wenig Ruhe und Ausspannung kann ich schon gebrauchen und es wird vor allem unserem Kindlein gut tun. Sein kleines Leben macht sich jetzt schon recht deutlich in mir bemerkbar und ich kann Dir garnicht sagen wie glücklich es mich macht wenn ich spüre, wie es seine kleinen Glieder heftig bewegt. Besonders in den Stunden der Nacht ist das so schön, wenn alles still ist und ich ungestört den kleinen Wunderwirken in mir lauschen kann. Mein August, dann ist meine Sehnsucht ganz groß, Dich bei mir zu haben, Deine Nähe zu spüren, daß all mein
Erleben auf Dich übergehe und dadurch mein Glück und meine Freude erst voll wird. Zuweilen kommt es dann vor, wenn der Schlaf dann über mich kommt, daß all das Ersehnte und Gewünschte im Traum Gestalt gewinnt und mich ganz froh und dankbar aufwachen läßt. Was die Wirklichkeit uns nicht gewähren kann, müssen uns die sehnenden Gedanken jetzt ersetzen.
In den Abendstunden habe ich nun damit begonnen, die kleinen Dinge für unser Kindlein anzufertigen, ein niedliches Strampelhöschen ist schon bald fertig. Bei dieser Arbeit läßt sich so schön sinnen und träumen und all die Gedanken an Dich, Liebster, unsere Gemeinsamkeit und unser Kindlein möchte ich mit den vielen hundert Stichen in die kleinen Dinge hineinverstricken, die einmal unser Kindlein kleiden sollen. Es ist so beglückend für mich wirklich alle Kräfte, des Herzens und der Hände, zur Bereitung seines Kommens einsetzen zu können. Ich stelle mir manchmal vor, wie schön es wäre wenn Du dabei neben mir säßest beim Schein der Lampe, wenn wir in gutem Gespräch über all das Zarte + Feine reden könnten; wenn Du schweigend dem Werk meiner Hände zuschautest oder mir aus einem Buch vorläsest; wenn wir unsere Stimmen zu einem der feinen Lieder vereinen würden, die wir so manches Mal miteinander gesungen haben. Ich habe es dann alleine versucht, aber meist hat mich das Singen traurig gemacht, weil mir dabei das Alleinsein so recht zum Bewußtsein kam. Aber ich will dagegen angehen und gestern abend habe ich einige Lieder von Ruth Schaumann, die wir zuletzt in Bremen miteinander gesungen haben, wieder recht froh singen können. Das Lied hat immer schon eine so befreiende,
Wirkung auf mich ausgeübt, so soll es auch ferner sein und auch unser Kindlein soll sich daran erfreuen können.
Von Familie Sepp erhielt ich gestern die Nachricht von der Geburt ihres 4. Kindes, Angela Maria Katharina. Überall neues Leben, inmitten von Tod, Krieg und Vernichtung, die Freude neuen Beginnens. Klaus schrieb uns aus dem Einsatz an der Invasionsfront. Er bestätigt uns das, was wir aus seinen Zeilen zu unserer Hochzeit herausgelesen haben. Ich will darauf antworten und Dir den Brief dann zuschicken. Bei all den Freunden, die in der letzten Zeit von draußen kamen, habe ich die gleiche Sehnsucht gespürt und einige haben es sogar offen ausgesprochen. Sie treten mir als Frau mit einer ganz anderen Freiheit gegenüber als den Mädchen unserer Gemeinschaft und es scheint mir oft so, als ob sie von meinen Worten etwas erwarteten. Ach möchten sie doch alle zu jener wundersamen Erfüllung ihrer Sehnsucht gelangen, die wir so glückhaft erleben durften.
Ich muß jetzt zur Stadt und da soll dieser Brief an Dich noch mitgehen.
Du mein August, Du weißt es ja, und dennoch möchte ich es Dir immer wieder sagen und zeigen können, wie lieb ich Dich habe und wie sehr ich mich nach Dir sehne. Möge der Herr unsere Liebe segnen und immer stärker, schöner und reifer werden lassen, daß uns aus ihr die Kraft komme zu gutem, frohen Ausharren in den Prüfungen dieser Zeit.
Deine Marga.