Marga Broil an ihren Mann August, 3. August 1944

Eine kleine Spanne Zeit
und der Abend kommt auf Flügeln,
die des Mondes Blick bescheint.
Eine Glocke wandert weit
und der Ton der Stille weint
auf ein Hüglein unter Hügeln,
o Du kleine Spanne Zeit.

Köln, den 31. August 1944.

Mein lieber August,

als ich die Worte des Liedes von der kleinen Spanne Zeit zum ersten Mal aus Deinem Munde hörte - ach, damals ahnte ich noch nicht, was es mir einmal bedeuten würde, etwas von Dir zu hören - da bin ich fast erschreckt von dem, was die Dichterin in so wundersamen Worten und Bildern auszusprechen wagte. Nun stehen sie über meinen Briefen an Dich, Liebster, die ja nur ein stammelnder Versuch sind das auszusagen, was an Unaussprechlichem zwischen unseren Herzen hin und her geht. Manchmal erstehen in den Gedanken Worte so fein und zart, daß man glaubt, sie hätten etwas von diesem Unsagbaren eingefangen; aber wenn sie dann im Brief Gestalt annehmen und ich sie betrachte, dann erscheinen sie mir wieder viel zu gering und unzulänglich. Aber wir sind uns dessen ja schon längst bewußt geworden und es ist eigentlich schön zu wissen und zu ahnen, daß hinter dem Gesagten noch die ganze Fülle des Ungesagten steht, die im Herzen des Geliebten ruht und wartet, bis sie schöner und beglückender Gestalt werden kann.

Die Tage eilen so rasch dahin und obgleich sie so voller Hast und Getriebe sind und all die Geschehnisse des Krieges dazu angetan sind

Unruhe, Sorge und Verzagtheit ins Herz zu senken, ist doch meist eine schöne Ruhe und Zuversicht in meinem Innern und ein Glück das so tief ist, daß es die Oberhand behält über alles, was ihm entgegen sein könnte. Es ist aber auch garnicht verwunderlich, daß dem so ist, denn das große Geschehen, das wir in vier Wochen erwarten, die Geburt unseres Kindleins, wirft schon seine beglückenden Strahlen voraus ins Heute und macht mein Gemüt hell und froh, so wie es für das Kindlein und mich in diesen Tagen am besten ist.

Liebster, wenn Dich dieser Brief erreicht, dann bin ich sicher schon in Rheinbach, (Adresse: Kloster Maria Hilf, Rheinbach bei Bonn) um mich dort in Stille seelisch und körperlich dem Kommen unseres Kindleins zu bereiten. Ich freue mich so sehr darauf, die letzten Tage vor seiner Ankunft doch fern von allem Getriebe zubringen zu können. Die notwendigen Vorbereitungen, die Herrichtung der Sachen für uns beide, habe ich schon fast alle getroffen. Und auch die Beschaffung der anderen Dinge für unser Heim geht langsam weiter. Nach langem Hin- und Her sind endlich die Sprungrahmen für unser Schlafzimmer geliefert worden, ich muß jetzt nur sehen wie ich sie von der Aachenerstr. nach hier bekomme. Ein Mieter hat mir die Auflegematratzen besorgt. Sie sind noch ganz ordentlich und fest, wie wir es gerne haben. So kommt langsam ein Teil zum anderen und bei jedem habe ich nur den einen Wunsch, daß wir es recht bald zusammen benutzen können.

Mein August, ich schäme mich manchmal ein wenig, Dir in diesen ernsten Tagen von so kleinen, unwesentlichen Dingen zu berichten; und doch drängt es mich immer wieder dazu, denn ich meine, im

Hinblick auf unsere künftige Gemeinsamkeit, der sie doch dienen, müßten sie doch trotz ihrer Geringfügigkeit Dir ein wenig Freude machen.

Heute, am 1. September steht unser Volk nun schon 5 Jahre in dem furchtbaren Ringen des Krieges, das gerade in diesen Tagen Ausmaße angenommen hat, wie keiner sie erwartet hat. Mit Sorge sehe ich jeder Nachricht aus Frankreich entgegen, denn seitdem Paris gefallen ist weiß ich, daß auch das Gebiet in dem Du bist, den größten Gefahren ausgesetzt ist. Dabei wird das liebende Herz von so vielen bangen Fragen bestürmt, daß man es fest in beide Hände nehmen muß, damit es dem Ansturm standhalten kann. Unser persönliches Schicksal ist eingebettet in das große, schwere Schicksal unseres Volkes und wir wissen daß beides, mag es noch so sehr äußeren Gewalten preisgegeben sein, allein gelenkt und geleitet wird von der Gewalt des ewigen Gottes, dem alle irdische Macht und Gewalt nur Werkzeuge sind. Ich habe mir in den wachen Stunden der Nacht oftmals die Hymnen an Deutschland zur Hand genommen, damit sich meine Haltung in diesen Tagen an den seherischen Worten forme und bilde.

Am Sonntag, den 3. September

Du mein lieber August, es ist Sonntag heute und Dein Brief, der mir von den vielfältigen Gefahren, den harten Tagen und dem dennoch glückhaften Wirken in allem erzählt, ist bei mir. Ach Liebster, ich habe ja in diesen Tagen gespürt, was Dich umgab, obgleich Deine letzten Briefe es noch garnicht erahnen lassen konnten. „Denn alles, was uns anrührt, Dich und mich, nimmt uns zusammen wie ein Bogenstrich, der aus zwei Saiten eine Stimme zieht...” Ja August, es

kann garnicht anders sein, durch alles was Dir widerfährt, werde auch ich berührt, und wenn es nur in den tiefsten Schichten des Unterbewußtseins geschieht, in denen wir uns selbst so schlecht auskennen. Und weißt Du was ich getan habe nachdem ich Deine Worte, die so schonend und liebevoll waren und doch die ganze Furchtbarkeit des Erleben durchblicken ließen, in mich aufgenommen hatte? Ich habe die Kerzen angezündet vor unserem Kreuz und dem Bild der Gottesmutter - am hellen Tage ist das noch nie geschehen - und habe meinen Dank, meine Freude, meine Tränen, die ganze Liebe und Sorge um Dich im Gebet vor den Herrn getragen. Ich weiß nicht, wie lange ich so betend vor dem Kreuz gestanden haben, aber ich bin gestärkt und getröstet in meinen Tag gegangen. Liebster, Du weißt ja wie innig ich täglich Deiner gedenke; nun aber, da ich Dich in so unmittelbarer Gefahr weiß,. Soll es in noch viel größerem Maße geschehen und ich verspreche Dir, mir auch nicht die geringste Unterlassung dessen zu verzeihen, was ich für Dich tun könnte. Ach, Deine Worte: „Denke an mich...” und „ich weiß, daß Du für mich und alle Deine Gebete zum Himmel sendest” haben doch alles in mir aufgerufen, Liebster.

Draußen fegt ein unbarmherziger Sturmwind die ersten welken Blätter von den Bäumen und in schweren Tropfen geht der Regen nieder, und ich frage mich, ob Du den Unbilden des Wetter ausgesetzt sein magst. Bisher wußte ich Dich immer im Schutze Eurer Fahrzeuge, doch nun scheint ja alles anders geworden zu sein. Wenn ich jetzt abends in meinem Bett liege, dann denke ich daran, ob auch Du eine Ruhestatt gefunden hast oder ob Du mit dem Herrn sprechen mußt:

Ich aber habe nichts, wohin ich mein Haupt legen kann. Ach, wie gerne würde ich auf manche Annehmlichkeit verzichten, wenn ich Dir Deine Lage dadurch ein wenig erleichtern könnte. So aber kann ich immer nur wieder für Dich beten, daß der Herr Dir die Gnade und Kraft gebe, in allen inneren und äußeren Widerwärtigkeiten, wie sie Dir auch immer begegnen mögen, stark und treu auszuharren; daß sie Dir Anlaß werden zum eigenen Wachsen und Größerwerden. Mein Liebster, und wie freue ich mich darüber, daß Dein Vertrauen auf die Führung Gottes und Seinen Schutz so groß ist. Ja, wir wollen uns in allen noch so dunklen Stunden unseres Lebens vertrauensvoll in Seine Hände geben, denn wir wissen ja, daß Er in Seiner Liebe alles zu unserem Besten lenken wird.

Im Evangelium des 14. Sonntags nach Pfingsten sagt uns heute der Heiland: „Seid nicht ängstlich besorgt um euer Leben ... Wer von euch kann mit all seiner Sorge seiner Lebenslänge auch nur eine Elle hinzusetzen?..” und dann braucht Er das schöne Bild von den Vögeln des Himmels und den Lilien des Feldes, für die der Vater im Himmel sorgt und zeigt uns daran, wieviel mehr Er dann erst für uns tun wird, da wir Seine Kinder sind. Und im Offertorium heißt es: „Die Engel des Herrn umgeben mit schützendem Walle die Gottesfürchtigen und erretten sie. Drum kostet und seht wie lieb der Herr ist.” All diese Worte, mein lieber August, schienen mir heute eigens für uns gesagt zu sein und wir wollen ihnen unsere Herzen ganz weit auftun, damit wir der Kraft, die von ihnen ausgeht, inne werden.

Sieh' Liebster, und so darfst Du Dir auch um mich keine Sorge

machen. Es geht mir wirklich so gut, wie ich es mir nur wünschen kann und wir dürfen hoffen, daß der Herr auch weiterhin alles gut werden läßt. Hoffentlich bekommst Du bald wieder Nachricht von mir, aber wenn Du ja nicht mehr bei Deiner Einheit bist, wird das wohl schwer sein. Und selbst wenn wir eine Zeitlang auf unsere Briefe, die so liebgewordene Brücke, verzichten müßten, unsere Sehnsucht läßt uns auch so den Weg über den Raum der Trennung hinweg zu unseren Herzen finden. Wie habe ich mich voriges Jahr, als mir alles andere genommen ward, gefreut daß mir Deine Briefe erhalten blieben, die so vieles aus dem Wachsen und Werden unserer Gemeinsamkeit aufgefangen hatten; und so kann ich heute Deine Freude verstehen, daß Dir ein Gleiches geschenkt wurde. Ist es nicht merkwürdig, daß ich vor einigen Tagen im Traum das Fahrzeug, in dem Du Deine Sachen hattest, brennen sah und ich beim Erwachen eine Sorge um Dich empfand wie nie zuvor? Du schreibst, daß wir noch reich sind, solange wir das Leben noch haben. Ja, nach jeder überstandenen Gefahr müssen wir es als neu geschenkt aus der Hand des Schöpfers entgegennehmen. So ist mein Herz heute voll dankbarer Freude, daß der Herr Dein Leben Dir und mir bis jetzt so treu bewahrt hat, und mein inniges Gebet geht dahin, daß Er auch weiterhin alles zu Deinem Heile fügen möge. Wir wissen nicht ob dieses Heil in der Erfüllung dessen liegt, was wir uns für unser künftiges Leben wünschen und ersehnen; aber wir wollen Ihm um die Gnade bitten in all Seinem Wirken Seine Liebe zu erkennen. Mein Liebster, so lege ich wieder Dein ganzes Sein, so wie Du es mir geschenkt hast mit Seele und Leib, in die Obhut des Herrn. Ich denke Dein in herzlicher Liebe

Deine Marga.