Marga Broil an ihren Mann August, 6. September 1944

Wer nur den lieben Gott läßt walten
und hoffet auf ihn allezeit,
den wird Er wunderbar erhalten
in aller Not und Traurigkeit.
Wer Gott dem Allerhöchsten traut,
der hat auf keinen Sand gebaut.

Köln, den 6. September 1944.

Mein lieber August!

Was soll ich Dir sagen in diesen Tagen, da das Herz ob der furchtbaren Geschehnisse des Krieges von Schmerz und Bitterkeit erfüllt ist, und mehr noch als in guten Stunden zu Dir hindrängt? Die Gedanken und Sorgen um das Schicksal unseres Vaterlandes und die Fragen um Dein Wohlergehen, Liebster, begleiten mich alle Stunden meiner Tage und Nächte und ich nehme sie mit hinein in mein Gebet zum Herrn. Welch trauriges Bild bietet uns der Anblick der ziellos und planlos zurückströmenden Truppen, wie sie uns auf allen Straßen begegnen. Auf zerschossenen, getarnten Fahrzeugen kommen sie in Zügen hier an und ich meine immer unter den vielen harten Gesichtern Dein Antlitz suchen zu müssen, Liebster; aus all den festen Schritten Deinen Tritt herauszuhören, und es ist ein so großes Verlangen in mir irgendeinen von ihnen etwas Gutes zu tun um Deinetwillen. Denn Dir gut zu sein, die ständige Sorge um Dich in irgendeiner guten Tat wirksam werden zu lassen, das ist doch das innige Verlangen meines Herzens mit all seiner Sehnsucht. Immer wieder steht die Frage in mir auf, wie es Dir nach dem glücklichen Übergang über die Seine, von dem Du mir im letzten Brief erzählt hast, weiter ergangen sein mag.

Nach den Berichten und Gerüchten, die zu uns herüberkommen, kann

man sich ja garkein rechtes Bild machen von dem Geschehen, in das Du so unmittelbar hineingestellt bist. Der letzte Gedanke all meiner Erwägungen ist immer der, daß Du, wo Du auch sein magst, stets in der Hand Gottes bist, daß Seine Vatergüte Dich überall umgibt, auch dort, wo die Gefahr und Dunkelheit der Stunde noch so groß ist. Und ich will Dich täglich neu in die Hände Gottes befehlen, denn das ist doch das Einzige, was ich für Dich tun kann in diesen Tagen, in denen alles Menschenwirken eitel ist. Die einzige Kraft, mit der wir diese dunkle Stunde bestehen können, ist doch das Vertrauen auf den Herrn, der auch in der äußersten Finsternis noch unser Heil wirken kann. Wie dankbar müssen wir sein, daß der Herrgott uns gerade in dieser schweren Zeit unser Kindlein schenken will und uns damit in all dem Dunkel ein Freudenlichtlein anzündet. Wie tief wird sich in diesen Tagen meine Liebe und Sorge für Dich in sein klein Herzchen senken, da sie mich doch so ganz erfüllt. Ja mein lieber August, das ist mein inniger Wunsch, daß unser Kindlein die Liebe zu Dir, seinem Vater, als kostbares Erbe aus dem Mutterschoße mitnehme in sein Leben, das so bald seinen Anfang nehmen soll. Ich weiß daß alles, was mir jetzt widerfährt, nicht ohne Auswirkung auf unser Kindlein bleibt, und darum bemühe ich mich so sehr alles von ihm fernzuhalten, was ihm schaden könnte. Der Umgang mit den vielen Menschen im Büro, die auf Grund der drohenden Kriegsgefahr die unmöglichsten Erwägungen anstellen, bringt manch unnötige Belastung mit sich, die ich mir dadurch ersparen will, daß ich bereits Montag nach Rheinbach fahre. Vor den Gefahren des Krieges ist man freilich nirgendwo sicher, aber ich hoffe doch, doch wenigstens etwas mehr Ruhe zu haben als hier.

Am 7. September 1944.

Täglich kommen Leute zu mir, die mir voll Freude berichten, daß einer ihrer Lieben, um den sie in banger Sorge waren, sich glücklich durch alle Gefahren durchgeschlagen haben und nicht mehr ferne sind. Solche Nachrichten verscheuchen dann für Augenblicke die Bilder, die die Sorge im Herzen erstehen läßt. Ach Liebster, mit welcher Sehnsucht halte ich nach einem Lebenszeichen von Dir Ausschau, das mir das Dunkel der Ungewißheit ein wenig lichtet. Nach außen hin merkt man mir wohl kaum an, was in mir oft vor geht; viele verwundern sich über meine Ruhe und manche nehmen es zum Anlaß ihre eigene Sorge einmal auszuschütten. Die Menschen haben alle so viel mit sich selbst zu tun und die meisten macht die ängstliche Sorge eng und klein und läßt sie über den eigenen Bereich nicht hinauskommen. Es kostet manchmal ein wenig Überwindung bei so manchen unverständigen Äußerungen nicht unwillig zu werden. Darum ist mir das stille Alleinsein in unserem Heim am Abend so lieb, wenn ich mit meinen Gedanken an Dich alleine bin und über der Arbeit für unser Kindlein so manches Gebet zum Herrn aus meinem Innern aufsteigen kann. Und wenn das Herz einmal so voll ist, daß es keine Worte zum Gebet mehr finden kann, dann ist der Rosenkranz mein bester Helfer den ich besonders in den Stunden der Nacht recht lieb gewonnen habe. Müßte nicht unser Gebet in diesen Tagen den Himmel wahrhaft bestürmen, auf daß alle Not und alles Leid, das den Einzelnen und die ganze Menschheit befallen hat, zur erlösenden Kraft werde, die die Welt aus diesem Meer von Blut und Tränen heimführe in die Vaterliebe Gottes, die sie schuldhaft von sich gewiesen hat.

Die meisten brechen unter der Last zusammen ohne ihre positiven Auswirkungen zu erkennen und wir selbst müssen täglich beim Confiteor bekennen, daß wir noch nicht die volle Konsequenz aus dieser Erkenntnis gezogen haben. Mein lieber August, wir wollen uns bemühen täglich die Belastungen, Sorgen und Entbehrungen, die der Krieg uns auferlegt, so zu tragen, daß der Herr daraus für uns und alle Heil wirken kann.

Mein Liebster, Du weißt wie es mich immer dazu drängt, Dir von all dem zu sagen, was mich bewegt, mag es nun froh oder traurig, hell oder dunkel sein. Wie wir einander kennen, wissen wir auch, daß der Ernst dieser Stunde nicht nur die Oberfläche berührt, sondern tief in unser Inneres eingeht, daß wir vielleicht stärker darunter zu leiden haben als manch andere Menschen. Wenn ich auch nicht weiß, ob meine Briefe Dich erreichen, so muß ich trotzdem das alles Wort werden lassen, weil es mir selbst Erleichterung bringt. Ich bringe es nicht fertig anderen Menschen die Tiefen des eigenen Herzens aufzutun, obschon das vielleicht einmal gut wäre in diesen Tagen. Aber wenn es auch manchmal schwer ist, mit allem alleine fertig werden zu müssen, es ist doch auch ein schöner Gedanke, daß von Dir und außer Dir niemand in mein Inneres geschaut hat. Und so will ich es auch weiterhin hüten als Dein ureigenster Besitz, den ich Dir bei Deiner Heimkehr wieder in die Hände legen kann. Ach Liebster, was klingt bei dem Wort Heimkehr alles in mir auf, alles Glück, alle Freude, alle Sehnsucht und Sorge. Mein August, wir wollen beten daß der Herr, wenn es Sein Wille ist, Dir eine gute Heimkehr schenken möge und uns beiden damit die Möglichkeit zu neuem Wirken. Liebster ich denke an Dich und bleibe

Deine Marga.