August Broil an seine Frau Marga, 30. April 1944
Am 30. April 1944.
Meine liebe Marga,
der heutige Sonntag ist trübe und regnerisch. Das bunte Farbenspiel des Frühlings paßt garnicht zu dem grauverhangenen Himmel und dem feuchten Dunst, der alle Ecken und Winkel ausfüllt. Bis zum Nachmittag haben wir gearbeitet. Aber in der Schublade lag Dein Brief vom vorigen Sonntag. Er soll mir den Sonntag zum Sonntag machen, weil wir beide gemeinsam so gut wissen, wie wir unseren Sonntag gestalten können.
Du Liebste, ich danke Dir für diesen Brief, der ganz aus Deinem Herzen spricht und mir von all dem so wahr erzählt, was durch die Ereignisse und das Erleben Dich beeindruckt und bedrückt hat. Tu es nur so wie Du es getan hast, und schreibe mit der ganzen Kraft Deines Herzens, damit ich es höre und vernehme und daran teilhaben darf.
Denn sieh, meine Liebste, wir haben das ganze Glück unserer Gemeinsamkeit verkostet und es wäre nur ein unvollständiges Glück, wenn ich nicht wirklich teilhaben könnte an der ganzen Gemeinsamkeit, die alles umschließt: Glück und Unglück, Freude und Schmerz, Freiheit und Bedrückung. Du selbst hast Deine ganze Haltung mir gegenüber so ausgerichtet, und sie darf nicht einseitig nur von
Dingen mir kommen, sondern sie muß wechselseitig hin und her gehen, so daß aus dem persönlichsten Erleben von uns Beiden erst die volle beglückende Gemeinsamkeit wächst. Und ein weiteres soll durch diese Wechselspiel der Hingabe der tiefsten Geheimnisse geschehen: Die Not oder das Schwere, die den einzelnen unsagbar belasten würden, sollten geteilt und verteilt werden auf die gemeinsamen Schultern. Ich weiß aus dem eigenen Erleben allzu gut, wie befreiend es ist, das lang Verhaltene, das man vor jedem Menschen zu verbergen sucht, endlich einem Vertrauten hinreichen zu dürfen. Und ich weiß auch von Dir, daß Du nicht minder schwer an allem trägst, was auf Dein Herz eindringt und daß Du glaubst es ganz mit Dir allein ausmachen zu müssen. Ich bin so froh und dem Herrgott dankbar, daß ich Dir der Mensch sein darf, dem Du Dich nun ganz hingeben und öffnen kannst, ohne irgend etwas von Deinem Innern preisgeben zu müssen. Sondern daß Du nun durch die Wechselwirkung innigster Gemeinsamkeit jedesmal mehr bereichert wirst. Du liebe Marga, wie habe ich Deine Freude gesehen, Deine glänzenden Augen; und selbst die Tränen, von denen Du mir sagtest, daß sie
seit Deiner Kindheit kein Mensch mehr gesehen habe, hast Du vor mir nicht verborgen. Ist das nicht freieste Hingabe des ganzen Innern, die doch auch wieder nichts anders konnte als so sein. So komm denn Liebste, ich sage aus tiefstem Herzen: Komm! Denn in aller Not und Bedrängnis gehören wir noch mehr zusammen als in der Freude und im Glück.
Du Liebste, es hat mich besonders froh gestimmt, daß Du hinausgegangen bist in die Natur, um Dir dort Freude und Befreiung zu holen. Es wird bei allen tief und recht empfindenden Menschen heute so sein, daß die freie, unbekümmerte Natur wirklichen Trost bieten kann. Denn sie ist wirklich kindlich unbekümmert. Im furchtbarsten Toben der Gewalten erstickt sie nie so ganz, daß nicht ein zartes Hälmlein rein und schön wieder aufwächst oder ein Vogel sein frohes Lied hervorträllert. Dies Erlebnis wird mancher Frontsoldat schon gehabt haben. Und wie gut ist es, wenn der Mensch aus der zerstörten Stadt hinausgehen darf und von dem Reichtum der Natur trinken kann. So erging es Dir als Du die vertrauten und mit so viel Erinnerungen verknüpften Pfade gingst. So bin ich im Einerlei des Kasernenlebens immer versöhnt, wenn sich hier und da ein Fleckchen Grün zeigt oder wie hier die vielbesungene und geliebte Heide. Liebste, wenn Du es eben einrichten kannst, und wenn Du körperlich
dazu in der Lage bist, dann versuche hinauszukommen aus dem Trümmerfeld. Unser Kindchen wird das beruhigende Schauen des Schönen recht mitempfinden, wenn auch unbewußt. Wir wollen auch den Plan nicht aus den Augen verlieren, daß Du möglichst bald in eine ruhigere Gegend gehst. Das soll ja kein Flüchten sein, sondern eine vernünftige Handlung, die Dir und unserer zukünftigen Familie zugute kommen soll. Wir hatten schon einige Möglichkeiten früher erwogen. Volle Sicherheit gibt es ja jetzt in fast ganz Deutschland nicht mehr. Aber es ist doch unwahrscheinlich, in einer kleinen Landgemeinde einen Angriff mitmachen zu müssen als in einer Großstadt. Wenn es Dir also irgendwie möglich ist, Liebste, so siehe zu, daß Du möglich bald fortkommst.
Wir haben jetzt wieder eine etwas ruhigere Zeit. Wir sind noch immer am alten Platz und das große Packen war wohl nur blinder Alarm. Wir warten also.
Morgen beginnt der Marienmonat. Vor Jahren war ich mit Georg Klüppel im Dom zu Altenberg. Vielleicht wirst auch Du an diesem Tage hinwandern und alle Nöte und Bedrückungen in ihre helfende Hand legen. Unser Vertrauen zur Gottesmutter ist groß, und sie wird uns helfen. Hast Du wirklich Grund, Liebste, zu zagen und zu trauern, wo ich doch weiß, wie fest und tief Dein Glauben und Beten ist. Ich habe großes Vertrauen in Deine Kraft und bin darum froh und zuversichtlich, Du liebe Marga.
Dein August.