August Broil an seine Frau Marga, 15. Mai 1944

Am 15. Mai 1944.

Meine liebe Marga,

noch ist keine Post nach hier durchgekommen, bei Umsiedlungen dauert es immer eine geraume Weile bis das alles glatt läuft, und wenn es schließlich so weit ist, dann kann es möglich sein, daß es wieder weiter geht. Aber ich hoffe doch, daß Du wenigstens meine Briefe schneller bekommst. Und ich weiß dann, daß Du Dich bald hinsetzen wirst in unser Zimmer, an unseren Tisch und mir schreibst und mit den Gedanken ganz besonders bei mir bist; vielleicht bist Du jetzt gerade auch dabei.

Du, ich muß Dir einige kleine Erlebnisse berichten. Als ich am Samstag einen Dienstmarsch über Land machte, schien die Sonne ganz warm und gut. Die Luft flimmerte wie bei uns im Sommer über den frisch gewalzten Feldern, unter denen die Saat keimte. Unter einem Weißdornbusch am grasbewachsenen Wegrand habe ich mich hingelagert und auf ein Fahrzeug gewartet. Da ging mein Blick rundum in dem schönen Land. Drüben der Waldrand und rechts die Häuser des Dorfes. Der warme Wind rauschte ganz vertraulich im Geblätter des Baumes. Und unter mir war das frische, junge Gras, weich und zart, noch ganz feucht und kühl anzufühlen in seiner Jugend. Die Käfer trieben ihr lustiges, beschauliches Werk zwischen den Gräsern, ließen sich von meinen neugierigen Augen garnicht stören. Ameisen kletterten emsig auf und ab, erzählten sich wohl Neuigkeiten, wenn sie auf ihren schmalen Pfaden zusammentrafen und sich betasteten. Eine Spinne spazierte ganz geruhsam vorüber und suchte sicherlich einen geeigneten Platz, um ihr Netz zu spannen. Von Zeit zu Zeit radelte ein Einheimischer vorüber und blickte erstaunt auf den seltsamen Naturforscher im Soldatenkleid dort unten, einige

machten freundliche und ermunternde Bemerkungen. Du, das war alles so schön und gut, und ich vergaß zuweilen, daß ich im Soldatenkleid in einem fremden Land war. Diese Stunde hätte ich auch irgendwo in unserer Heimat erleben können.

Gestern war Sonntag, kein Sonntag, wie wir ihn gewohnt sind, wenn wir zu Hause sind. Morgens hatten wir Dienst, der allerdings genau so gut hätte ausfallen können oder in der Woche gemacht werden können. Aber das ist wohl nicht mehr zu ändern. Und da es wohl allgemein so als notwendig erkannt worden ist, wollen wir nicht mißmutig darüber werden. Ganz in der Frühe hatte ich Wache. Es war die Zeit des beginnenden Tages, der so ganz langsam aus der Ferne der Nacht hervorgeht. Nach der glanzvollen Sonnenwoche war dies ein grauer Morgen mit heftigen Windböen, die den Frühlingszauber von den Bäumen abschüttelten und als weißen, samtenen Teppich auf den Boden breiteten. Ich mußte viel an Dich denken, und die Zeit war dadurch nicht lang.

Nachmittags haben wir die Kirche zum ersten Mal im Innern gesehen. Es ist ein sehr alter gotischer Bau, der mehr wie eine Festung aussieht mit den dick gemauerten Wänden. Das Innere ist in seiner Konstruktion ganz einfach, fast etwas primitiv gehalten. Von der französischen Hochgotik ist hier noch nichts zu merken. Etwas dörflich kitschig sind die späteren Zutaten. Vor allem fallen uns Deutschen die patriotischen Sprüche auf wie „Gott und das Vaterland” mit den Zeichen der Nation. Trotzdem glaube ich nicht, daß diese Dinge das religiöse Leben Frankreichs heute noch entscheidend beeinflussen. Von der Ordnung, die wir in der Beziehung zwischen Kirche, Staat und Volk erstreben und wie sie im Mittelalter einmal selbstverständlich war, merkt man nichts mehr.

Meine liebe Marga, mit diesen Zeilen sei Dir wieder ein besonders herzliches Denken bekundet. Gleich bricht die Nacht herein. Wenn ich meine zwei Stunden Wache in dieser Nacht habe, dann bin ich in Gedanken wieder bei Dir und ich werde dann mit Dir und unserem Herrgott stille Zwiesprache halten können.

Dein August