August Broil an seine Frau Marga, 8. Juni 1944
Im Westen
Am Fronleichnamsfeste
Meine liebe Marga,
heute beim Erwachen des Tages haben wir unsere Fahrzeuge mit Laub, das wir frisch von den Bäumen des Waldes geschlagen hatten, getarnt. Ich mußte bei dieser Arbeit an den heutigen Festtag denken. Vor Jahren haben wir am Vorabend dieses schönen Festes in den Gärten und Anlagen der Umgebung Kölns das Laub gepflückt und viele blühende Blumen dazu und haben Laub und Blumen auf die Straßen zerstreut, über die dann später der Triumphzug des Herrn ging. Ein schöner, guter und freudiger Brauch war das. Und ein tiefer Sinn lag dahinter. Nun ist uns all dies liebgewordene der Heimat ganz fern und unwirklich geworden. Wie mit den meisten Dingen religiöser Betätigung geht es auch diesem so: Nur die Gedanken und die Erinnerung, vor allem aber die im Geiste vollzogene Mitfeier können wir noch das Fest feiern, vielleicht sogar für den Einzelnen und für die Seele ergreifender und fruchtbarer als früher, weil jegliche Äußerlichkeit weggefallen ist. Aber wir wollen uns auch da nicht allzu viel versprechen; denn es kostet doch unter den gegebenen Verhältnissen unsäglich viel Mühe, dem Innern nun das Zugute zu geben, was es an sich braucht. Die natürlichen Gegebenheiten sind allzu mächtig geworden und das Wohl und Wehe des Leibes beansprucht seine Rechte mit unwiderstehlicher Gewalt. Müdigkeit und Schlaf, Ängstlichkeit und Unruhe, fortdauernde Gesellschaft unter guten und schlechten Kameraden, wenige Möglichkeiten zu eigen bestimmtem Tun, das alles nimmt einen mit unwiderstehlicher Gewalt gefangen. Bernhard Köttgen schrieb mir letztens darüber einen feinen Satz. Er sagt, daß es garnicht darauf ankomme, ob man die Feste und Zeiten der heimatlichen Welt gebührend feiern könne, sondern daß hier der Maßstab des Menschen selbst die große Aufgabe sei. Der Einzelne habe genug zu tun, wenn er unter den obwaltenden Verhältnissen
sein eigenes Ich dem Schöpfer rein und ordentlich erhalten könne. Und darin hat der junge Kerl durchaus Recht. Er scheint die Möglichkeiten des außen und innen schon heftig in sich gegeneinander erprobt zu haben.
Liebste, gestern und vorgestern zog die unendlich lange Schlange der Fahrzeuge über die guten Straßen Nordfrankreichs. Unsere Wartezeit ist beendet. Der Einfall des Feindes in die Normandie hat der Ruhe ein Ende bereitet. Nun wird das Leben unstet werden und auch vorerst bleiben, unsere Behausung wird vorerst der Kraftwagen sein. Gott sei Dank, daß wir ihn haben, und uns darin einigermaßen einrichten können, wenn auch recht beengt zwischen Kisten und Gepäck. Die Fahrt durch Nordfrankreich war ein großes Erlebnis für mich. Wie hat es mich gefreut, daß ich all diese schönen Landschaftsbilder in mich aufnehmen durfte. Gestern war teilweise schöner Sonnenschein und da ich den ganzen Nachmittag im Krad mitfuhr, konnte ich die Landschaft besonders frei und ungestört betrachten. Nun stehen unsere Fahrzeuge in einem alten, hohen Eichenwald, dicht getarnt gegen den Feind aus der Luft. Aber der Himmel ist grau verhangen und ein guter, warmer Regen rauscht hernieder. Da ist es oben ganz still und ich kann die Vöglein um so besser singen hören wie sie ihr lustiges Lied trällern und pfeifen.
Du meine Marga, nun hat auch für uns der eigentliche Krieg begonnen. Wir wollen ruhig und mutig, die Dinge ganz offen aussprechen und uns keiner ängstlichen Scheuklappen bedienen. An der Wirklichkeit wie sie nun einmal ist, wollen wir garnicht deuteln. Aber ich bin mit großer Zuversicht in den neuen Abschnitt meines und auch unseres Lebens hineingegangen. Denn jetzt kommt ja die Zeit wahrer Bewährung, von der wir oft gesprochen haben. Und ich muß Dir sagen, Liebste, daß ich darum nicht traurig bin. Jetzt weiß ich erst wie Deine Gebete mich begleiten, noch vielmals inniger als zuvor, jetzt erfahre ich, wie sehr wir alle in Gottes Hand gegeben sein werden. Du meine Liebste, laßt uns mit großer Zuversicht und Treue den neuen Lebensabschnitt begehen, wie wir es immer zu tun uns vorgenommen hatten. Liebste, so grüße ich Dich und bin Dein Mann in noch viel innigerem und herzlicherem Maße als je
Dein August