August Broil an seine Frau Marga, 29. Juni 1944
Frankreich, den 29.06.1944
Meine liebe Marga,
in Paris haben wir nicht lange bleiben können. Nachdem ich Dir am Vormittag einige Zeilen schrieb, haben wir den größten Teil des Tages mit dienstlichen Dingen ausfüllen müssen. Am Nachmittag und gegen Abend hatten wir dann noch einige Stunden für die Stadt. Es war ein so sonderbares Bild, nach Wochen auf dem Lande und im Grünen diese Stadt zu sehen, die so prachtvoll, weiträumig und oft großartig, vielfach aber auch protzerisch angelegt ist. Die kleinen Dörfer und Landgemeinden stehen in gar keinem Verhältnis zu dem Prunk dieser Stadt. Vergleiche mit anderen Städten oder gar mit früheren Köln sind einfach absurd. Die Breite der Straßen und Alleen, die vielfachen Paläste, die wunderschönen Ausblicke auf die mit vielen breiten Brücken überwölbte Seine, das alles kommt einem so unfaßbar vor, daß man ganz überwältigt ist, dazu noch auf einem so engen Zeitraum zusammengedrängt. Wir standen eine Zeitlang auf dem erhöhten Plateau des neu errichteten Weltausstellungsgeländes. Wunderschön war dieser Blick, nicht über das Dächermeer, sondern über das Gewoge von Dächern, Türmen, Bäumen und Kuppeln in bunter Farbenpracht, hell von der Sonne beschienen. Alle drei Kameraden waren mir sichtlich dankbar, daß ich sie auch noch zu dem in meinen Augen wohl schönsten Bauwerk von Paris: die herrliche gotische Kirche Notre Dame, mitten im Zentrum von Alt-Paris auf den Seine-Inseln. Etwas so Schönes und Ausgewogenes - von Bildern her kennt sie wohl jeder - habe ich noch kaum an einem gotischen Bauwerk gefunden. Dazu war es in einer sanften abendlichen Stunde, als die Sonne nur ein warmes gütiges Licht über den belebten Stein ausgoß.
Wir haben alle vier sehr ergriffen und still davorgestanden. Das Innere war leider verschlossen. Voller Sehnsucht mußte ich an die nun in Schutt und Asche liegenden heimatstädtischen Kostbarkeiten denken, die auch einmal den Betrachter so erfreut hatten. Doch auch hier in Paris wieder die betrübliche und mit eigenen Augen und eigenem Erleben erfahrene Feststellung des Gegensätzlichen in allen Erscheinungsformen des Lebens. Einer solchen herrlichen, in aller Klarheit und äußeren Lauterkeit daliegenden Stadt sollte man nur Schönes zumuten. Doch unter der glänzenden Schale schwelt und frißt das Gift der Großstadt, das alle Natur und alle natürlichen Entwicklungen und Dinge im Menschenleben verdirbt: Die Frau, das Mädchen, die Sauberkeit des Denkens und Handelns. Aber man kann eben nur immer die eine Erfahrung zur andern sammeln und daraus seine Nutzanwendung ziehen für sich selbst und das Leben überhaupt.
Meine liebe Marga, mit diesen wenigen Grüßen und Worten aus und über Paris laß mich heute meinen Brief an Dich beenden - gleich soll die Post mitgenommen werden. Es geht rasch mit diesem Brief und ich würde gerne noch ein paar besonders herzliche Worte sagen können. Doch, Du Liebste, das weißt Du ja, die kommen nicht so ohne weiteres, sie gebrauchen mehr Ruhe und Stille
Dein August.