August Broil an seine Frau Marga, 23. Juli 1944

Frankreich, den 23.7.1944

Meine liebe Marga,

Sonntag ist wieder, und ich bin eben fertig geworden mit Packen und Aufräumen. Gestern nacht sind wir wieder, nachdem wir eine Anzahl von Tagen in einem Dorf gelegen haben, teils im Fahrzeug auf einer Obstwiese, teils im „Salon” eines ganz schönen Hauses, in einem neuen Ort angekommen. Wir haben unsere Kisten und Kasten wieder abgeladen und „wohnen” nun in der kleinen Werkstatt eines alten Mannes, der über das plötzliche Erscheinen der Soldaten ein recht betrübliches Gesicht machte. Er geht immer recht verschlossen und finster dreinblickend umher. Sicher befürchtet er, daß seinem schmucken Gärtlein etwas geschieht. Aber wir haben keine bösen Absichten. Und seine Frau kam gestern abend, nachdem wir ihm Abfälle zum Füttern seines Schweines gegeben haben, und bot uns ein besseres Lager für die Nacht auf dem kleinen Heuboden an. Heute abend werden wir von dem Angebot erstmalig Gebrauch machen. Sie hat uns sicher am Morgen vom Boden aufstehen sehen, auf dem wir nebenbei ausgezeichnet geschlafen haben, und da hat

ihr ehrliches Gewissen sie ermahnt, den krassen Unterschied zwischen unserem Lager und ihrem weichen Bett etwas auszugleichen, soweit es in ihrem Vermögen stand. So ganz kleine Freundlichkeiten können auch im Feindesland Freude bereiten. Das Gärtlein ist aber auch ein Schmuckstück, wie man es hier selten findet. Es ist wohl sein Werk, an dem er mit Leib und Seele hängt. Hoffentlich spielt ihm der Krieg keinen bösen Streich damit. Auch wenn man in die Stube hineinsieht, glänzt alles ganz sauber und aus der Pumpe sprudelt helles, klares Wasser.

An unserem letzten Rastort hatten wir eine offenere, weitgeschwungene Gegend angetroffen. Große Weizen- und Haferfelder lagen golden in der Sonne. Rund um das Dorf lagen zahlreiche Obstwiesen wie ein grüner Kranz. Ob wir dieses Dorf noch einmal reif sehen werden? - ich glaube es kaum. Wer weiß wohin der Krieg uns dann schon wieder getrieben hat! Das Dorf war selbst nicht so sehr schön: es machte einen verwahrlosten Eindruck. Das konnten mir besonders die Bauern bei unserer Truppe bestätigen. Der eine, augenblicklich unser Fahrer, war früher

Bürgermeister in einem norddeutschen Dorf, der andere Bauernführer in einem emsländischen Dorf. Aber beides prachtvolle Kerle, mit denen man schon mal ein Wort sprechen kann. Mit dem Bürgermeister habe ich jetzt ein Geschäft gemacht: Tabak gegen Speck oder Fettwaren. Wenn ich Dir schon durch die Post nichts schicken kann, dann muß ich es auf diese Weise versuchen. In der nächsten Zeit müßte also ein kleines Paket mit fettigem Inhalt bei Dir ankommen: Das ist moderner, bargeldloser Verkehr, nicht wahr, meine Marga!

Bei unserer kurzen Fahrt zu dem neuen Ort, der aus nur wenigen Häusern besteht, änderte sich die Landschaft sehr stark. Jetzt sind wir wieder in einem reinen Weidegebiet wie wir es Mitte bis Ende Juni schon einmal hatten. Wir werden sicher an einem der nächsten Tage einmal auf die umliegenden Höhen steigen, vielleicht können wir dann ein wenig ins Land hinausblicken. Der Blick von oben in die Weite ist doch immer etwas so Erhebendes und Befreiendes. Von dem kleinen Unrat und Schmutz der sich da unten breit macht, sieht man oben nichts mehr. Es ist alles wie gemalt und so schön; ich kann es nicht recht sagen wie. Und vor allem kann man da oben der Menschen Zank und Streit vergessen,

wenn das Land sich wie ein schönes, wohlgeformtes Gefäß Gottes zu Füßen breitet.

Kleine Städte haben hier oft herrliche alte gotische Kirchen. Leider sehe ich sie immer nur im Vorüberfahren. Doch der Eindruck den sie auf mich machen ist trotzdem stets groß. Auf der Herfahrt kamen wir an einem solchen, wohl dem hl. Petrus geweihten Dom vorbei. Ich schließe das aus dem Namen der Stadt, die auch seinen Namen trägt. Viele Städte in Frankreich tragen seinen Namen, wie überhaupt sich wohl zahlreiche Städte aus Siedlungen oder Gründungen um eine Kirche entwickelt zu haben scheinen und dann später ihren Namen als Namen der Stadt übernommen haben. Diese Namen sind Zeugen einer guten Zeit der Ordnung und des rechten Verhältnisses zwischen Himmel und Erde. Heute hat man stets das Gefühl, daß der Glaube und die Tatkraft im Religiösen in der Bevölkerung durch das allzu bequeme Leben ohne die großen Schwierigkeiten und Gegensätze wie bei uns weitgehend erlahmt sind. Die schweren Kämpfe, die die Kirche in Deutschland zu bestehen hatte, sind keineswegs immer zu ihrem Nachteil gewesen. Viel Spreu hat sich dadurch zu allen Zeiten vom Hafer gesondert.

Meine Liebste, diese Woche las ich noch einmal

in den Hymnen an Deutschland. An einem Abend fielen sie mir beim Durchstöbern meiner Sachen wieder in die Hand. Du, welch starke Worte schreibt doch diese Seherin über Deutschlands Schicksal und Sendung. Ich las es, als sicher zur gleichen Stunde dem Volke Kunde ward von dem furchtbaren Mordversuch. Ach, welch harte Wege ist unser Volk wieder gezwungen zu gehen. Kein Schicksalsschlag scheint ihm erspart zu bleiben. Und es scheint wahr zu werden, daß aus der tiefsten Bedrängnis erst die letzte große Ordnung geboren wird. Christus war ja der Sieger trotz Tod und Grab. Unser Volk muß auch Sieger für Christus bleiben nicht durch die Gewalt der eigenen Brüder oder die der Feinde, sondern durch die Gewalt des Schicksals, das Gott ihm gegeben hat für alle Zeiten vor aller Zeit.

Meine Liebste, nun ist das so ein rechter Plauderbrief geworden, der Dir von allem, was mich bewegt und was ich erlebe ein klein wenig erzählen will. Es ist doch so geworden wie ich es mir gewünscht habe. Von Deiner Rückkehr ins Heim hast Du mir geschrieben, als Du von fünf Briefen von mir empfangen wurdest. Das hat mir die meiste Freude gemacht, daß wenigstens etwas zu Deinem Empfange da war. Dann hast Du mir von den letzten Tagen in Wittlich, in denen Du Marianne getroffen hast, noch

ganz viel Schönes erzählt. Du, was müssen Dir diese Tage doch gut getan haben. Und unser Kindlein hat durch Dich schon soviel Schönes erlebt. Ich habe es so gern, wenn Du immer davon erzählst, wie unser Kindlein schon jetzt an allem teilnimmt. Es ist auch sicher so, daß sich gerade jetzt alle Eindrücke und Erlebnisse besonders stark auf das im Wachstum begriffene Gemüt auswirken wird.

Da ist es nun wieder so weit, daß ich von Dir Abschied nehmen muß in diesem Briefe, meine Liebste. Es ist ein immerwährendes Abschiednehmen und Wiederkommen, sehr oft in den Gedanken, manchmal im Brief und einmal .... Ja dann wird wohl das Abschiednehmen nicht mehr sein und wir werden immer zusammen sein, wie es unsere Sehnsucht und Hoffnung ist.

Dein August.

Von den Eltern habe ich zwei liebe Briefe bekommen, einen aus Amelunxen und einen aus Bayenthal. Sie machen sich viel Sorge; doch Du wirst ihnen manchmal helfen können