Kaplan Stiesch an Willi Ludwig, Anfang Mai 1940

Lieber Herr Ludwig!

Für Ihren freundlichen Brief herzlichen Dank! Wir in der Heimat wissen Soldatenbriefe doppelt zu schätzen, die oft genug in den wenigen freien Minuten fertig werden müssen. Und dazu ist der Dienst gewisz so anstrengend, dasz man am liebsten ganz entspannt sein möchte.

Ich schicke ein NT mit für den Fall, dasz Sie keins zur Hand haben. Andernfalls geben Sie es bitte an irgend einen Kameraden weiter, der daran Interesse hat. Sie kenne gewisz die schöne Stelle aus dem Wanderer zwischen beiden Welten, der ja auch im Feld doch noch das NT zur Hand hatte. Er war übrigens Neutestamentler vom Fach bei Deiszmann in Berlin Mitglied des NT’lichen Seminars. Den Gefallenen des Seminars ist dann auch die zweite Auflage des schönen Paulusbuches von Deiszmann gewidmet worden.

Ein Freund von mir bei den Soldaten hat eine praktische Methode ersonnen, um an seinen Freundeskreis zu schreiben und Zeit zu sparen. Er schickte einen Rundbrief, den wir hier untereinander austauschen. Wir antworten jedoch alle persönlich, so dasz er ein gutes Quantum Feldpost – darauf freut er sich – erhält.

Bei den Jungmännern haben wir auch schon zweimal einen allgemein verständlichen Brief verlesen.

Kennen Sie den Otto Haas. Er liegt nun schon fast ein halbes Jahr krank danieder und würde lieber auf seine Ruhe verzichten und im Betrieb stecken. So geht es immer, was der eine zuviel hat, hat der andere zu wenig.

Mit bestem Grusz bin Ihr