Werner Niederwipper an Kaplan Stiesch, 11. August 1940

Boulogne-sur-mer, 11.8.40.

Lieber Herr Kaplan!

Nun ist es aber die allerhöchste Zeit, daß ich Ihre verschiedenen Briefe und Grüße beantworte, und Ihnen herzlich dafür danke. Wenn ich jetzt erst dazu komme, Ihnen zu schreiben, so rührt das daher, daß ich es immer wieder aufschieben musste, weil erstens der Dienst es nicht zu ließ, zweitens ich in der letzten Zeit ziemlich rumgeflogen bin. Von Elbing nach Bromberg, dann gab es innerhalb von Bromberg verschiedene Umzüge, und schließlich gings nach Boulogne. Heute ist nun der erste Sonntag, den ich hier verbringe, und da will ich direkt die Gelegenheit beim Schopf fassen, und einen Brief loslassen.

Gesundheitlich fühle ich mich sehr wohl und an sich kann ich mich über meine Lage nicht beklagen.

Heute Morgen war ich in einer Kirche der Stadt, die nicht beschädigt und tadellos in Ordnung

war. Hier ging mir so recht die allumfassende Gemeinschaft unserer Kirche auf. Meine Situation war ähnlich der im Saale des Pfingstwunders. Mitten zwischen fremdstämmigen und fremdsprechenden Menschen plötzlich ein Stück Heimat: Ein feierliches Hochamt mit gutem gemischtem Chorgesang und gepflegtem Choral. Auf einmal waren mir die Menschen in der Kirche gar nicht mehr feindlich und fremd, sondern es waren alles meine Brüder und Schwestern. Die betende und opfernde Gemeinschaft der una sancta ecclesia. Das war ein feines Erlebnis für mich.

Die Stadt an sich ist recht übel zerstört, wenn sie auch im Vergleich zu Dünkirchen und Rotterdam noch gut erhalten ist. Aber trotzdem ist die Zerstörung recht groß. Ganze Häuserzüge bilden einen einzigen Trümmerhaufen, ganze Straßen sind entvölkert, Industrieanlagen zerstört usw.

Ich liege einquartiert in einer Villa und zwar haben wir im

Salon unsere Schlafstätte eingerichtet. Die Unterkunft ist nicht schlecht. Auf meiner Stube liegt ein Paderborner Theologe, mit dem ich mich tadellos verstehe, und der schon zweimal verwundet war.

Wie geht es denn sonst noch in Bickendorf? Alles in Ordnung? Aus den Briefen, die ich so bekomme höre ich die verschiedensten Ansichten. Wie ich hörte, ist Herr Kpl. Küppers versetzt. Seinem Nachfolger können Sie von mir einen Gruß ausrichten.

Und ich will auch langsam schließen. Ich wünsche Ihnen alles Gute und grüße Sie herzlichWerner.

Soldat W. Niederwipper
Feldpostnr. 36458 B.