Kaplan Stiesch an Werner Niederwipper, 24. August 1940

Rudolf Stiesch   Köln Bickendorf   Schlehdornweg 1

24. August 1940

Lieber Werner!

Für Deinen Brief herzlichen Dank. Das Erlebnis des Gottesdienstes im fremden Land war ja ergreifend. Ich will es gerne glauben, dasz einem die Kirche im Ausland ein Stück vertraute Heimat ist. Ich selbst habe das auch in gleicher Weise erlebt. Und wie nobel wohnt Ihr! Da habt Ihr es doch besser angetroffen als die Frontsoldaten von 1914 die da drei Wochen im Graben lagen. Bestelle bitte dem Paderborner Theologen eine Grusz. Ich wünsche ihm alles Gute und dasz er jetzt heil aus weiteren Kämpfen herauskommt. Ich selbst habe im Paderborner Konvikt schon einmal einige Tage gewohnt, als ich 1929 mit meinem Bruder, der damals schon Kaplan war, dorthin eine Fahrt per Rad über Soest und den Hellweg unternommen habe. Ich hatte dort in Paderborn eine Groszonkel wohnen, der Redakteur von Beruf war und Spökenkieker im Nebenamt: Hermann Abels. Wenn der Theologe alteingesessener Paderborner ist, wird den Namen wohl noch kennen. Ich glaube, dasz die Theologiestudenten jetzt sich genau so gut bewähren werden, wie die des Weltkrieges. Hoffentlich sind die Divisionspfarrer tüchtig! Das musz ja damals leider unterschiedlich gewesen sein. Ein boshaftes Sprichwort sagt: Der beste Kaplan verdirbt, wenn er Pastor wird. Man kann es mit einigem Recht auch so wenden, dasz der beste Theologiestudent verdirbt, wenn er Kaplan wird. Es liegt wohl daran, dasz wir Menschen je mehr idealistischen Schwung haben, je jünger wir sind. Doch braucht man auch die Altersweisheit nicht zu verachten. Im Bereich aller Künste ist es

so, dasz die Künstler ihre höchsten Offenbarungen am Ende ihres Lebens zu geben hatten: Shakespeare (Hamlet) wie Goethe (Faust) Beethoven wie Rembrandt.

Was soll man von Bickendorf sagen? Augenblicklich ist ja fast alles ausgeflogen. Gestern Abend waren wir zu fünfen auf meinem Bau: Rudi Conin, W Wintersch. P Pehl Franz Ley und Jos Kreuser. Ich gab eine Einführung in unser Konkordat und dann haben Ley und Kreuser etwas musiziert. Ich meine, dasz diese Gruppe der älteren sich recht zur Einheit und zu geistiger Interessiert gefunden hat. In die jüngere Gruppe habe ich weniger Einblick. Rudi Conin riet mir immer, ich solle mich möglichst zurückhalten, um den vielen, die „kleine Heiden“ sind, den Zugang nicht ganz zu verbauen. Den Eindruck, dasz diese zum Teil dem religiösen Gedanken und Leben recht fremd sind, habe ich auch.

Herzlichst