Kaplan Stiesch an Josef Meurer. 29. September 1940
Rudolf Stiesch Köln Bickendorf Schlehdornweg 1
29. September 1940
Lieber Herr Meurer!
Über Ihren Brief habe ich mich sehr gefreut und danke Ihnen, dasz Sie mir von Ihrer Freizeit so viel geschenkt haben! Das glaube ich gern, dasz vielen eine solch ungewohnte Arbeit schwer werden wird. Hoffentlich kommen Sie gut drüber hinweg! Wenn Sie noch immer so gut aussehen, wie bei Ihrem Urlaub, geht es ja noch. Und umso mehr wird man nachher seine eigentliche Berufsaufgabe schätzen, wenn ihr so lange entzogen wird.
Durch die Abwesenheit von Karl Heinz Hodes habe ich die Bekanntschaft von Herrn Engelskirchen gemacht, was mir sehr wertvoll ist. Er kennt die klassisch romantische Klavierliteratur recht genau und spielt vieles sehr gut. Die Welt des Chorales ist ihm ja fremder, wenn er auch dafür aufgeschlossen ist. Er war zB von Maria Laach sehr ergriffen. Und er singt ganz gut und begleitet sich selbst, so zB geistliche Lieder von Beethoven, die ich noch nie gehört hatte oder Löweballaden ua. Einmal hatten wir einen sehr schönen Abend bei mir: Sonaten von Philipp Emanuel Bach. Der Kaplan von Bocklemünd und der von Pulheim waren auch da.
Ich wünschte ja nur, wir hätten wieder normale Zustände, dasz auch Sie wieder da wären und wir so den musikalischen Genien ungehindert dienen könnten. Die Begleiterscheinungen wie Verdunklung und Alarm u ä verderben einem den ungestörten Genusz eines Konzertes und alles.
Dasz der Herr Marizy gestorben ist, wissen Sie doch sicher.
Wie oft sind wir mit ihm in der Sakristei zusammen gewesen! Er war einmal bei uns und hat Bilder aus Siam gezeigt, wo er vor dem Weltkrieg gewesen war. R.i.p.
Kaplan Schiffer von Rochus wird auch dieser Tage Sanitäter in Wien. Kaplan Milde sollte auch weg, ist aber endgültig zurückgestellt wegen seiner Kniescheibenverletzung.
Wir haben auch Familienzuwachs. Vorigen Montag ist uns ein Wellensittich zugeflogen und wir wissen bisher noch nicht, wem er gehört. Es scheint ihm ganz gut bei uns zu gefallen. Er ist aus seinem Bauer fast nicht herauszulocken, auch wenn alle Törchen aufstehen. Ihm ist die Freiheit scheints nicht gut bekommen.
Jetzt habe ich auch die Bücherei und die Meszdiener zu verwalten. So gut in Schusz, wie sie bei Kaplan Berghs waren, werde ich sie sicher nicht bekommen. Dazu musz man eine solch energische Erziehernatur haben, hoffentlich bleiben sie nur so, wie sie sind.
Nun wünsche ich Ihnen alles Gute und Liebe und hoffe, dasz Sie bald wieder Urlaub haben und wir uns dann gemütlich alles erzählen können.
Mit herzlichem Grusz
Ihr