Kaplan Stiesch an Ludwig Kreuser, 1. Oktober 1940

Rudolf Stiesch   Köln Bickendorf   Schlehdornweg 1

1. Okt 1940

Lieber Ludwig!

Zunächst bitte ich um Entschuldigung, dasz ich Deinen interessanten und umfangreichen Brief erst jetzt beantworte. Ich habe ihn immer vorlesen wollen, und gestern abend ist erst etwas daraus geworden. Wir hatten eine Abschiedsstunde für die Rekruten von RAD und Militär. Zum RAD kommen unter anderen Rudi Conin, Franz Ley und Willi Winterscheidt, Hubert Zinsheim, Bongartz, Langen, Mamdt, Schwarz Driessen; Klein, Höschler, Kaiser Sandweg, Schomer.

Zum Militär kommen ua Rudolf Silckeroth und Willi Stupp. Rudolf Sillckeroth hat übrigens in den letzten Monaten seine künstlerischen Fähigkeiten entdeckt. Er zeichnet und modelliert ganz ordentlich. Sogar ein Porträt seines Vaters in Ton bezw. Gipsabgusz.

Beim Abschied gestern abend war auch Dein vorjüngster Bruder zugegen der Vorname ist mir entfallen, der Theologiestudent in spe.

Ich habe bei der Gelegenheit Deine Brief und einen von Werner Niederwipper vorgelesen. Alle hörten sehr interessiert zu und waren von dem ernsten Bericht sehr ergriffen. Solche Abende, denen ein konkreter besonderer Anlasz zugrunde liegt, gelingen ja gewöhnlich am besten. Die Stimmung ist dann von vornherein gegeben. Herr Kaplan Klein war übrigens auch zu Besuch dabei. – Heute kam übrigens eine böse Nachricht. Franz Orth vom Grünen Brunnenweg, den Du sicher kennst, ist diese vergangene Nacht gestorben. Er hatte eine vereiterte Blinddarmentzündung und wurde operiert. In Bremen ist er glaube ich gestorben. Schade dasz uns oft die besten grade so früh entrissen werden. Und grade die besten Familien trifft es manchmal am härtesten.

R i p. Dasz unser alter Meszdiener, der Herr Marizy gestorben ist, weiszt Du sicher auch?

Kaplan Schiffer von Rochus ist auch eingezogen als Luftwaffensanitäter nach Wien. Kaplan Milde soll nach Münster kommen. Es kann aber sein, dasz er wegen einer Kniescheibenverletzung zurückgestellt wird.

Mein Vetter Konrad Friesenhahn ist von Südfrankreich nach Ostpreuszen gekommen. 6 Tage und 6 Nächte waren sie unterwegs. Schon eine anständige Reise.

Die Orgelerlebnisse von Dir waren übrigens gut. Das stimmt, dasz man eine Art musikalischen Heiszhungers empfindet, wenn man mal länger keine Musik gehört hat. Dann freut man sich unbändig über die ersten Akkorde. Ich habe das auch ähnlich im Seminar erlebt, wo man oft monatelang kein Klavier oder keine Geige hörte. Wie haben wir uns da auf eine Feierstunde gefreut! Erst wenn man etwas entbehrt, weisz man es ganz zu schätzen.

Nun also nochmals herzlichen Grusz! Der nächste Brief soll aber pünktlicher einlaufen.