Ludwig Kreuser an Kaplan Stiesch, 25. Oktober 1940
Aus Frankreich, am 25.10.40
Hochw. Herr Kaplan Stiesch!
Ihren Brief vom 1. Okt. habe ich dankend erhalten.
Die Mühe, die sie an demselben aufwandten, hätte ich Ihnen gut ersparen können, wenn ich Sie in meinem Urlaub vom 26.9. bis 16.10. aufgesucht hätte. Es tut mir jetzt leid, dass ich Sie nicht doch noch besucht habe. Mir war zwar keine freie Zeit dazu übrig, da ich tagtäglich im Geschäft meines Vaters geholfen habe. Ich konnte noch nicht einmal allen Verwandten, die mich zu einem Besuche einluden, mangels freier Zeit einen Besuch abstatten. – Aber bei ernstlichem Wollen meine ich, hätte ich doch noch etwas
Zeit für Sie abringen können.
Sollte ich in kommender Zeit wieder Urlaub erhalten, so nehme ich mir jetzt schon vor, Sie alsdann möglichst gleich aufzusuchen, - denn, wenn man so etwas nicht gleich erledigt, so kommt man nachher gewiß nicht mehr dazu -; mir ist es diesmal wenigstens so ergangen.
Sie bitten mich um Entschuldigung wegen Ihres zu späten Beantwortens meines Briefes; - das sei ferne! – Ich weiß doch selbst, wie es mir oft geht; man hat oft Tage und Wochen, an denen man absolut nicht zum Briefschreiben bezw. Beantworten kommt, und bei Ihnen muß sich dies noch viel größer auswirken, da viele junge Soldaten und Arbeitsdienstler Aug und Ohr zu Ihnen hingerichtet
halten, um von Ihnen zu hören und Ihre Gedanken aufzunehmen. Dieses nicht prompte Rückschreiben ist mir sehr verständlich und kann auch gar nicht ausbleiben.
Mein Wunsch ist es, dass jene jungen Menschen von Dreikönigen, die nun zum Arbeits- oder Heeresdienst einberufen worden sind, (einige kenne ich persönlich, sie sind ja alle mit meinen jüngsten Brüdern Hans, Fritz der Student und Josef, aufgewachsen,) und die jetzt in den Sturm und in die Probe des Lebens gestellt sind, zunehmen an Erkenntnis und ein starkes Rückgrad erhalten, eben durch die Gefahren, die sich ihnen jetzt bestimmt in großem Maße in den Weg stellen werden
Rudolf Silckerodt, wie überhaupt die ganze Familie Silckerodt ist eine Künstler-Familie bezgl. des Zeichnens und des Bildformens. Rudolfs Bruder, Bernhard ist ja im Bildhauer-Beruf tätig. Ich habe schon oft meine Bewunderung kundtuen müssen über fabelhafte Zeichnungen, die Rudolf zustande gebracht hat, - und daß er jetzt auch noch mit Ton zu modelieren beginnt, ist höchst lobenswürdig.
In meinem Urlaub erfuhr ich, daß Franz Orth zur ewigen Heimat ist abberufen worden. Persönlich war ich weniger mit ihm bekannt, aber vom Erzählen meiner jüngeren Brüder Hans und Fritz muß er ein prächtiger Mensch gewesen sein, der es in seiner Art wunderbar
verstand, seinen Kameraden Beispiel zu sein und sie an sich zu ziehen. Sehr ergriffen hat mich die Nachricht vom Tode des alten und ehrwürdigen Messdieners, Herrn Marizy; ich hatte immer eine große Hochachtung gegen diese Persönlichkeit.
Von Ihren weiteren Ausführungen habe ich gerne interessiert Kenntnis genommen. Es freut einen immer, wenn man auf diese Weise mit der Heimat in Kontakt bleibt; mit ihr freut man sich so in frohen Stunden, man trauert mit ihr wenn Trübsal sie heimsucht, man ist auf diese Weise stets, wenn auch räumlich entfernt, im Geiste um so enger mit ihr verbunden.
Hier in unserem Städtchen gestaltet sich das alte Leben immer mehr, obschon man immer noch die Rückkunft von Flüchtlingen hin und wieder beobachten kann. Alltäglich läuten die Glocken, zur hl. Messe einladend. Wehmut überkommt einem alsdann, wenn man gebunden ist und absolut nicht daran teilnehmen kann; - dagegen sind uns schöne und breite Wege geebnet zu den Lokalen der Schande und des Sittenzerfalles. Das ist eine große Gefahr für den positiv-christlichen Soldaten, zumal ihm hier die Kraftquelle der Sakramente gänzlich fehlt. Die in den romanischen Ländern übliche Weise, beim Gottesdienste in lange weiße Schleier zu erscheinen, kann man hier alle Tage bei der jungen
weiblichen Bevölkerung beim Kirchgang beobachten.
Es wird jetzt auch merklich kalt, dabei tut ein guter Kamin, wie er hier in Frankreich üblich ist, und ein ordentlicher Vorrat Holz angenehme Dienste.
Wenn dieser Brief in Ihre Hände gelangt, wird Allerheiligen gewesen sein und der Allerseelenmonat begonnen haben; da ich das Grab meiner Mutter und alle die Gräber der vielen Lieben, der tapferen Soldaten und besonders in letzter Zeit von uns geschiedenen nicht aufsuchen kann, so will ich an den beiden ersten Tagen des kommenden Allerseelen-Monats ganz besonders ihrer gedenken.