Kaplan Stiesch an Otto Gros, 9 November 1940

Rudolf Stiesch

9. November 1940

Lieber Otto!

Über Deinen Brief habe ich mich sehr gefreut. Und von Bayart den Brief hast du ja schon bekommen. Ich wollte Deinen Brief schon bei den Jungen vorgelesen haben. Leider fand sich noch keine rechte Gelegenheit. Das letzte Mal war der Abend so wie so schon etwas lang geraten. Und dann jetzt immer der frühe Alarm. Gestern ging es schon um 10 Minuten nach 8 los. Wir fangen jetzt auch schon um 7 Uhr an. Leider können dann immer welche nicht kommen. Aber anders ist nichts zu machen.

Dasz man im Krankenhaus Kameradschaft kennen lernt, kann ich nur bestätigen. Ich habe es erlebt, als ich in Bonn studierte und einmal nur 14 Tage in der Krankenstation des Albertinums war. Kaum etwas bindet so stark aneinander wie so eine Gemeinsame Krankheit. Wie gut lernt man sich da kennen! Mit manchen, mit denen ich damals zusammen war habe ich heute noch freundschaftliche Beziehungen nach 10 Jahren! Und wir heulen vor Vergnügen, wenn wir uns blosz sehen. Aber man musz es eben erlebt haben. Sehr viel praktischen Erfolg wird es wohl nicht haben wenn man beim Heimabend auch noch so söchön davon erzählt.

Nun sei herzlich gegrüszt! Heini Mundorf gibt sich alle M[ühe]. Er ist wirklich unverwüstlich. Leider reagieren die Kerle manch[mal ] ziemlich schwerfällig. Man müszte ein Auto rundschicken und alle abholen lassen. Dann bekäme man die Kerle so ziemlich zusammen.

Herzlichen Grusz