Franz Ley an Kaplan Stiesch, 15. Dezember 1940

Euskirchen, den 15.12.1940

Sehr geehrter Herr Stiesch!

Frohen Weihnachtsgruß zuvor. Bitte, entschuldigen Sie mein langes Schweigen. Es geschah nicht absichtlich, Sie solange warten zu lassen. Sie können sich denken, daß ich sehr viel Post zu erledigen habe. Weiter habe ich noch die ehrenvolle Aufgabe, eine Weihnachtsfeier zusammenzustellen. Das erfordert auch sehr viel Zeitaufwand, zudem ich noch alles allein mache.

Nun zu etwas anderem. Für den Feuerreiter danke ich Ihnen. Er brachte mir einmal etwas anderes als die geistlosen und nichtssagenden Illustrierten, die hier zu haben sind. Nun wollen Sie auch gerne wissen, wie sich mein Leben hier abspielt. Das es mir nicht allzu leicht fällt, hier auf dem Stab als Schreiber zu arbeiten, können Sie sich denken. Es muß sich nämlich militärischer Schliff mit Kopfarbeit paaren, und das ist nicht so einfach, besonders, wenn mehrere Vorgesetzte da sind, die jeder das ihrige erledigt haben wollen. Aber es ist hier der Grundsatz lebendig, der heißt: „Götz von Berlichingen“, und man setzt sich über alles hinweg. Aufregung steht nicht in unserem Lexikon. Ist auch besser so, denn die Nerven kann man für etwas anderes gebrauchen. Nun, und was die religiöse Einstellung der Kameraden anbelangt, so ist sie durchschnittlich lau. Nur zwei oder drei sind noch darunter, die sich, wenn jemand da ist, der sie zieht, zum kath. Glauben bekennen. Zwar habe ich sehr oft Spott zu hören, von Führern wie von den Kameraden, aber ich glaube, daß dies den meisten gar nicht ernst gemeint ist und nur nachplappern, was andere vorgekaut haben.

Das ist nun, außer vielleicht kleinen Einzelheiten, der ganze Inhalt des Lebens hier auf dem Stab. Da dieses Leben nun nicht sehr inhaltsreich ist, mache ich es mir. Und damit komme ich nun auf das Leben zu Hause in der Pfarre. In meinem Urlaub mußte ich leider hören, daß das Leben gar nicht mehr so ist, wie es früher war. Ich glaube, es macht sich nunmehr das Fehlen des Nachwuchses bemerkbar. Hans Eiermann und Hubert Niederwipper scheinen zwar ihre Kraft ganz einsetzen zu wollen, und hoffen wir, daß es Ihnen gelingt, die Kerle zu halten. Was Otto anbelangt, so glaube ich, daß man ihn im Auge behalten muß; denn er macht anscheinend Anstalten, seine Begeisterung für das Pfarrleben etwas hintanzustellen.

P. Quirl, der Führer der M. C. hat mir in der letzten Zeit einige Male geschrieben. Unter anderem hat er mich als den zukünftigen Führer der jungen Mannschaft der M. C. vorgesehen.

Die Übertragung dieser Aufgabe ehrt mich, und ich will meine ganze Kraft in die Erfüllung dieser Aufgabe setzen. Wie notwendig es ist, eine M. C. zu gründen, werden Sie ja wohl jetzt sehen. Ich habe Otto geschrieben, dass die M. C. kein Verein oder so etwas ist, sondern eine große und gewaltige Kampfgemeinschaft, die sich schon 300 Jahre bewährt hat. Sie genießt auch einen ganz besonderen Vorzug bei Hl. Vater, der ihr Ablässe und seinen besonderen Segen gegeben hat. Der Erfolg der M. C. bei den Männern ist ja geradezu großartig. Unsere Jugend, die bisher immer gesagt hat: „Die alten machen mehr kaputt wie ganz“, oder „Die sind ja noch aus der Biedermeierzeit, die verstehen uns nicht“, wo ist sie? Mit Mühe und Not kann man sie zusammenhalten. Kläglich ist das. Darum muß unter unsere Jugend der Kampfgeist des M. C., die sich ja nur auf religiöser Grundlage aufbaut. Eine heroische Liebe zu Maria fehlt uns. Darum wollen wir uns mit den Männern zusammenschließen. Sie werden uns verstehen. Ein inniges Band wird uns im Geiste Mariens fest und unzertrennlich verbinden. Dieser Kampfgeist wird dann auch bestimmt auf andere überspringen. Die kleinlichen Auseinandersetzungen in den eigenen Reihen dürften damit wohl ihr Ende finden. Zwar werden noch Haken und Hindernisse auftauchen, wie z. B. das Sichzurückgesetztfühlen – und das ist wohl der Haupthaken – derer, die noch nicht in der M. C. sind, oder die evtl. nicht wollen. Dagegen mache ich folgenden Vorschlag: Die Schulentlassenen bis 15 Jahre werden durch besondere Marienverehrung auf den Geist der M. C. eingestellt. In einer Marienfeierstunde werden sie dann ein Versprechen ablegen und gehören dann von selbst der M. C. an. Nur nicht fragen: „Wer will?“ Ist grundfalsch, denn dann kämen bei 36 Mann 40 Fragen und entgegengesetzte Meinungen auf. Darum, nur handeln. Bei den Älteren wird es genau so gemacht. Nicht weiter fragen, durch Marienfeiern und –andachten vorbereiten und dann aufnehmen. Nicht wahr? Das andere kommt dann von selbst. Es gilt nur, den Geist der inneren Verbundenheit herzustellen.

So, nun will ich schließen. Grüßen Sie mir die Kameraden, und auch Ihre Eltern.

Heil  

Franz