Kaplan Stiesch an Rudi Conin, 17. Mai 1941
Rudolf Stiesch Köln Bickendorf Schlehdornweg 1
17. Mai 41
Lieber Rudi!
Mein Namenstagsgrusz an Dich kam zurück, weil er grade in die Tage Deines Stellungswechsel[s] hineinkam. Jetzt wirst Du ihn hoffentlich inzwischen bekommen haben. Ich freue mich zu hören, dasz es Dir in Deiner jetzigen Stellung gut gefällt. Und ich glaube, dasz Du keine Langeweile zu haben brauchst und die vielen Stunden Freizeit auszunutzen verstehst. Professor Clemen in Bonn, den ich sehr hoch schätze, erzählt er habe in solch langen Wartestunden im Weltkrieg, wenn er nichts zu lesen hatte, einige Gedichte von Goethe auswendig gelernt. Auf der Penne wird einem ja das Auswendiglernen verleidet, aber da habe er es liebgewonnen. Und er habe sich so einen Schatz von Dichtungen erworben, von dem er heute noch mit Freuden zehre. Man hat ja mehr von einem Lied oder Gedicht, das einem auswendig ganz zu eigen ist als von solchen die man ablesen musz.
Was studiert denn dein Uffz? Würde mich interessieren. Ich hoffe, dasz er die grosze Tradition der Weltkriegssoldaten und Studenten fortsetzt. Aber schön, dasz Ihr eine so feine Kameradtschaft habt. Da könntest Du sicher gut eine Klampfe gebrauchen? Gestern abend habe ich in Deiner Gruppe (Krautz Niederwipper) Deinen letzten Brief vorgelesen. Ich hoffe, dasz jetzt die Jungen näher auf den Inhalt der Abend eingehen. Alfos Geurtz hat sich Deine Nr aufgeschrieben. Lothar Leopold will sie sich heute holen. Einiges will ich erzählen. 21 4 Heimabend bei den Groszen. Ich besprach zwei Proben rheinischer Kunst: Otto III in der Gruft Karls des Groszen und Bergpredigt von Gebhardt. Der Christus hier ist evangelisch in der Auffassung. Es fehlt das Göttliche. Das Bild Otto III von Rethel ist Geschichtsmalerei im Kaisersaal in Aachen.
Herm Joseph Kleinsorg meinte, wir könnten es nicht in unserer Bude aufhängen, weil zu einem solchen Bild kein persönliches Verhältnis möglich sei, wie zu einem Michaelsbild, einem Ritter u a. Aber ich meine alles in sich grosze und Schöne kann uns Wegweiser sein. Es braucht nicht immer der Drache und das Schwert zu sein.
Interessant war bei deinem Georgabend ein Disput über den Beginn des ersten Reiches. In der älteren Auffassung galt nämlich Otto der Gr als Schöpfer des ersten hl römischen Reiches deutscher Nation durch seine Kaiserkrone in Rom. Heute sieht man lieber in Heinrich dem ersten den Schöpfer eines Deutschen Reiches. Man könnte meiner Auffassung nach Karl den Gr als ersten Schöpfer ansprechen, wenn auch da fremde Bestandteile in dem Reich waren und es später aufgeteilt wurde.
28 4 über den Menschen als Gottes Ebenbild. Grenzen gegen das Tier, die doch nie wahren geistigen Verstand haben. Abstammungsfragen und Entwicklungslehren. 9 5 hielt ich Heimabend über das Gebet in Deiner Gruppe. Die Jungen waren aufmerksam. Viel Anregung hatte ich aus Tilmann: täglich beten aber wie. Er fordert zuerst Sammlung: Besinne Dich dasz Du in Gottes Gegenwart stehst. Gott umgibt Dich wie die Luft die wir atmen. In ihm leben wir (St Paulus). Dann erst wird das Gebet Begegnung mit Go[tt], Bilder aus der Wacht von Betenden Bauern, Soldaten, Jungen im Altenberg[er] Dom. Haltung beim Gebet u ä.
12 5 hielt ich einen Abend in der Obergruppe über unsere Stellung zum Mädchen. In RAD und beim Militär wird die[s] Thema ja viel besprochenund nicht immer erfreulich. Ich habe vor allem versucht eine angemessene und würdige Vorstellung vom Eigenwert des Mädchens zu geben. Werner Niederwipper hat darüber einen sehr feinen Brief an Otto Mundorf geschrieben, den wir vorgelesen haben. Wenn er Dich interessiert, schicke ich Dir bald einmal eine Abschrift.
Damals meintest Du ja, diese Probleme bestünden für uns noch nicht. Aber ich glaube doch, das[s] das Thema schon einmal notwendig wird, weil sehr bald dieser und jener in die Problematik hereingestellt wird. 24-25 Mai haben wir unsere Lichtnacht Altenberg und werden Deiner gedenken. Weist Du noch, wie müde du voriges Jahr warst?
[Rest fehlt!!]