Werner Niederwipper an Kaplan Stiesch, 20. Mai 1941

17866 B, am 20.5.41.

Gruß und Heil!

Dank für den Namenstagsgruß! Leider muß ich jetzt alle Leute lange auf Antwort waren lassen. Ich habe kaum noch Zeit zum Schreiben. Jede Nacht bin ich draußen auf Streife, und am Tag wird auch noch Dienst gemacht. Da ist man am Abend hundemüde.Die Verhältnisse sind hier so eng und unerträglich für ein tieferes Nachdenken, daß ich mich tatsächlich zum Schreiben zwingen muß. Die einzige Abwechslung bzw. Auflockerung, die ich habe ist Eichendorff. Neuerdings lese ich auch noch mal etwas von Shakespeare. Aber auch da fehlt mir die rechte Ruhe. Die Musik vermisse ich sehr. Mein Klang ist ein kleiner Ersatz. Abends kommen die Kameraden: „Werner, spiel was.“ Dann singe ich ihnen unsere schönen alten Lieder, und zuweilen singen wir

eins gemeinsam. Radio haben wir keins. Einesteils bin ich schon ganz froh, denn wir würden doch nur den ganzen Tag Jazz und Krach hören.

Ich freue mich immer wieder über die Briefe, die mich erreichen. Sie grüßen mich aus der Heimat und erzählen mir von der jungen Kirche, wie sie in den Daheimgebliebenen fortlebt. Besonders in einer Zeit, wie meine jetzige, im scharfen Dienst in Sand und Einsamkeit sind die Briefe von Wert.

Aber gerade ist der Laufposten mit der Verpflegung angekommen, und es herrscht ein allgemeines Durcheinander. Deshalb bin ich gezwungen zu schließen.

Ich grüße Sie und die Bickendorfer Kameraden mit einem frohen Heil!

Werner