Kaplan Stiesch an Rudi Conin, 27. Mai 1941

Rudolf Stiesch Köln Bickendorf Schlehdornweg 1

27. Mai 1941

Lieber Rudi!

Dein Brief ist für mich wieder wie immer Freude und Erlebnis gewesen. Die Franzosen haben das Sprichwort: Der Stil das ist der M[ensch]? (Ganze rechte Seite schlecht kopiert). Und daran ist sicher etwas wahres. In jedem Brief und in jeder Unte[r]haltung spürt man etwas vom Wesen des Mitmenschen und immer ist es erfreulich, wenn man einem so natürlichen und gesunden jungen Mensc[hen]tum und Christentum begegnet.

Aus dem Bericht des OKW hast Du sicher entnommen, dasz hier die letzten Fliegerangriffe jetzt heftig waren. Einiges habe ich gesehen: Die zerstörten Stellwerke und Lokomotivschuppen zwich[en] Deutz und Mülheim und das Cafe Bauer auf der Hohenstrasze.

Daher dachten wir, wir könnten in diesem Jahr die Nachtwache der Jungen doch nicht verantworten und hielten daher unsere Lichtfe[ier] nur am Abend des 24. Mai. Den Text der Stunde hatten die Jungen selbst zusammengestellt. Auch die Einladung selbst entworfen. Ernst Jakobs hat die Bilder gezeichnet. Ich schicke Dir einmal ein Exempl[ar] mit. Der Entwurf wird Dir sicher gefallen. Ca. 30 Jungen waren da.

Gestern hatten wir unsere Schlageterfeier. Die Texte hatte Peter Haas ausgewählt und zusammengestellt. Sehr nett gemacht. Hubert Taxacher sprach ein Gedicht auswendig! (vgl. unsern letzten Briefwechsel): Ich lasse es folgen

Du sollst an Deutschlands Zukunft glauben
An deines Volkes Auferstehn
Lass diesen Glauben dir nicht rauben
Trotz allem allem was geschehn
Und handeln sollst du so als hinge
Von dir und deinem Tun allein
Das Schicksal ab der deutschen Dinge
Und die Verantwortung wär dein
           (von Johann Gottlieb Fichte 1762-1814)

Das Gedicht wirkte ganz zeitnah trotzdem es schon über 100 Jahre al[t] ist. Nun herzlichen Pfingstgrusz im hl. Geiste!