Kaplan Stiesch an Werner Niederwipper, 27. Mai 1941
Rudolf Stiesch Köln Bickendorf Schlehdornweg 1
27. Mai 1941
Lieber Werner!
Dir einen herzlichen Pfingstwunsch und die Gnade des hl Geistes. Zunächst einiges vom Leben hier im letzten Monat. Mit Rudi Conin hatte ich einen angeregten Briefwechsel. Er schrieb, ihn interessierten die Heimabende inhaltlich und so sei einiges davon erzählt. Am 21. 4. besprachen wir Rethels Bild Otto III in der Gruft Karl des Groszen und Die Bergpredigt von Gebhardt. Es kam ein ganz hübsches Rundgespräch zu Stande: Unser eigenes Verhältnis zu einem solchen Bild. Hermann Joseph Kleinsorg meinte solche Bilder könne er in seinem Zimmer nicht aufhängen, weil sie an ihn keine Forderung stellten, wie zB ein Michaelsbild oder ein Georg. Ich meinte, alles in sich grosze und Schöne und Vollendete hat uns auch etwas zu sagen, wenn auch nicht so unmittelbar wie die Bilder nach der Forderung Hermann Josephs. – am 25. 4 über Georg. Interessant wie die Auffassungen im Schulunterricht sich gewandelt haben. Wir lernten noch Otto den I als Begründer des ersten Deutschen Reiches kennen, weil er durch seine Krönung das Röm Reich deutscher Nation sichtbar machte. Heute nennt man Heinrich I als den Begründer des ersten Deutschen Nationalstaates.
Am 28. 4 über das christliche Bild vom Menschen als Gottes Ebenbild. (Im Anschlusz an Theodor Haecker Was ist der Mensch). –
Am 9. 5 über das Gebet. Ich hatte aus der Wacht 4 Bilder betender Menschen mitgebracht: Ein Araber in der Wüste mit erhobenen Händen betend. Eine Tiroler Familie beim Tischgebet als aus christlichem Erbe schöpfendes Beispiel. Die neue Jugend betet im Altenberger Dom, und Soldaten im Gebet angetreten. Im Anschlusz an die Bilder entwickelte ich
einige Gedanken über Haltung beim Gebet über die Formulierung des hl Wortes u ä
Am 12. 5 über unsere Stellung zum Mädchen. Haben Dir nicht die Ohren geklungen. Wir benutzten nämlich Deinen schönen Brief an Otto vom Anfang des Jahres als Leitwort und Grundlage. Hier war ja alles wesentliche gesagt über die rechte Würdigung und Wertschätzung. Ich habe mir den Brief mehrmals abgetippt und hoffe, dasz Du damit einverstanden bsit. Ich glaube, dasz er manchem noch etwas zu sagen hat.
Am 20. 5 ein Abend von Joseph Kann über Pankratius. Das Thema war bemerkenswert gut durchgearbeitet worden.
Am 24 5 unsere Lichtstunde. Anbei die Einladung. Ernst Jakobs, der ja Graphiker wird, hat die Bilder gemacht. Sehr hübsch, nicht wahr? Leider ohne Nachtwache, wie im Vorjahr. Wir glaubten die Verantwortung nicht übernehmen zu können bei der Heftigkeit der letzten Luftangriffe. Gestern abend Schlageterstunde. Zusammengestellt von Peter Haas. Der Hubert Taxacher hatte sogar einige Verse auswendig gelernt. Das imponierte. Ich lasse sie folgen
Du sollst an Deutschlands Zukunft glauben
An Deines Volkes Auferstehen:
Lass diesen Glauben dir nicht rauben
Trotz allem, allem was geschehn
Und handeln sollst Du so als hinge
Von Dir und Deinem Tun allein
Das Schicksal ab der Deutschen Dinge
Und die Verantwortung wär dein.
(Johann Gottlieb Fichte) 1762-1814
Man spürt ja deutlich den Einflusz von Kants Kategorischem Imperativ. Und doch wirkt es zeitnahe und passte recht in Schlageters Lebensbild hinein. – Leider gehen die Eingriffe in den Bereich der Kirche immer weiter. Klöster beschlagnahmt. Neuerdings übernimmt die NSV die Leitung der Kindergärten uä.
Du schreibst von Deinem Zeitmangel und Deiner Übermüdung! Zwing Dich nicht zu Schreiben. Oder schreib mal einen kurzen Postkartengrusz bei Gelegenheit.
Herzlichst