Kaplan Stiesch an Willi Stupp, 29. Mai 1941

Rudolf Stiesch   Köln Bickendorf   Schlehdornweg 1

29. Mai 1941

Lieber Willi!

Dir ebenfalls die überströmende Fülle der Geisteskraft am Pfingstfest. Aus Deinem Brief spricht ja frohe Bereitschaft. So Geh nur Deinen Weg! Wer weisz, wie weit er Dich von Haus weg führen wird. Ich lege Dir ein Photo der Heimatkirche bei. Möge es Dich begleiten und erinnern. Nur ist jetzt der schiefe Hahn abmontiert. Es sah nicht schön aus und war auch zu gefährlich, dasz er einmal bei einem Sturm heruntergeweht worden wäre.

Am letzten Montag unsere Schlagetergedächtnisstunde. Von Peter Haas sehr sorgfältig zusammengestellt. Hubert Taxacher sprach ein Gedicht auswendig. Das imponiert doch mehr als wenn es noch so gut abgelesen wird. Ich lasse es folgen:

Du sollst an Deutschlands Zukunft glauben
An Deines Volkes Auferstehn
Lasz diesen Glauben dir nicht rauben
Trotz allem allem allem was geschehn
Und handeln sollst du so al hinge
Von dir und deinem Tun allein
Das Schicksal ab der deutschen Ding
Und die Verantwortung wär dein
                           (Johann Gottlieb Fichte 1762-1814)

Das Gedicht wirkt ganz gegenwartnah, trotzdem es über 100 Jahre alt. Leider gehen die Eingriffe in den Lebensbereich der Kirche immer weiter. Die Jesuiten muszten ihr Haus räumen bis auf die Seelsorger des Hauses. Die Kindergärten hier im Bezirk sind der NSV unterstellt. Unsere Schwestern sollen unter ihrer Leitung weiterarbeiten. 24 5 unser Altenberger Lichttag. Dieses Jahr ohne die Nachtwache. Wir glaubten sie angesichts der Heftigkeit der letzten Fliegerangriffe nicht verantworten zu können. Schade. Es geht doch eine starke Kraft aus von solch besonderen Stunden, wie sie im Vorjahr waren. Nun wir werden auch noch mal ruhige Zeiten erleben.

Joseph Kann macht seine Sache gut. Jedenfalls geistig hat er etwas

zu bieten. Bei den Jungen kommt es allerdings auch auf andere vitale Gegebenheiten an. Nach Fliegeralarm ist hier Sonntags nachmittags um 5 eine hl Messe. Wer hätte das früher für möglich gehalten. Immerhin eine Annäherung an das Abendmahl der Urkirche. Kaplan Bröhl von Stephan in Lindenthal ist in die Kulmer Diözese verabschiedet worden. Ich weisz nicht, ob Du ihn kennst. Ein feiner Kerl, selbst aus der Jugendbewegung hervorgegangen. Die Stephanskirche hat ziemlich starke Beschädigungen erhalten beim letzten Luftangriff. Eine angrenzende Schule brannte völlig aus.

Am 9 5 ein Heimabend über unsere Stellung zum Mädchen. Ich suchte vor allem eine würdige wertende Grundhaltung zu geben. Als Leitwort ein sehr feiner Brief von Werner Niederwipper zum Thema. Ich habe ihn abgetipppt, wenn er dich interessiert schicke ich ihn dir zu.

Am 9 5 über das Gebet. Ich zeigte an einigen Bildern aus der Wacht die Haltung des betenden Menschen: einen Araber in der Wüste, eine Tiroler Familie beim Tischgebet. Jungen im Altenberger Dom und Soldaten zu gemeinsamen Gebet angetreten.

Am 28 4 Heimabend über das christliche Bild vom Menschen als Gottes Ebenbild. Du kennst sicher von Theodor Haecker das Buch. Was ist der Mensch.

Und am 8 Juni werden wir in Dreikönigen das Gottbekenntnis haben. Im Geist bist Du sicher auch bei uns abends um 7 Uhr! Hoffentlich wird das grosz und festlich. Pfarrer Clemens wird predigen. Ich bin gespannt, wie das bei uns wirkt.

Heil Dir! Alles Gute und noch einen herzlichen Glückwunsch zu Deinem Namenstag