Eugen Lingohr an Kaplan Stiesch, 27. Juli 1941
27.7.41
Sehr geehrter Herr Kaplan!
Lange Zeit haben Sie von mir nichts mehr gehört und nun finde ich endlich Zeit Ihnen einige Zeilen zu schreiben. Wieviel aber hat sich nun in der Zwischenzeit wieder ereignet. Aus dem Westen bin ich gen Osten gekommen und wir sind in das weite Land der U.D.S.S.R. eingedrungen. Haben die baltischen Länder von ihrem Joch befreit. Sahen ihre Freudenkundgebungen und Dankesprozessionen; erlebten die Hilfsbereitschaft und Selbsthilfe gegen die Roten. Nun aber ziehen wir weiter gegen Leningrad und Moskau. Schon in Lettland und Estland war die Bevölkerung arm und dreckig, doch hier in Rußland: unbeschreiblich. Alle Schilderungen dieses Landes sind harmlos, denn es ist alles noch schlimmer. Hier leben Menschen zwischen reichen Äckern und Wiesen und keiner hat etwas zu essen; eine Folge der Kolektivwirtschaft. Die Front aber geht immer weiter vor, und Tag und Nacht starten unsere Flieger gegen den Feind und wir sind ihnen eine Hilfe in ihrem großen Kampf. Mit Begeisterung lebe ich in diesem Ringen, denn es ist ja nicht nur ein Feind Deutschlands, sondern auch der Kirche zu besiegen.
Hartnäckig ist der Gegner und wendet Methoden an, die uns fremd sind. Haben wir als Luftnachrichten in den bisherigen Kriegen fast nie eine Feindberührung gehabt, so ist es nun anders, denn immer wieder stehen in den Wäldern versprengte Truppen oder Heckenschützen, die uns sehr viel Arbeit machen und oft sogar Blut kosten. Einmal hatten wir sogar schon 1 ½ Tage einen Feldflughafen belegt, als wir von der Heimatseite aus angegriffen wurden. So muß man hier immer zum Kampf gewappnet sein und wenn uns Gott hilft werden wir auch hier siegen. Meine Begeisterung trägt Deutschland, die Kirche und die Kultur unseres Volkes.
So ziehe ich nun weiter in diesen Kampf, möge die Heimat uns helfen durch ihr Gebet und ihre Arbeit, damit auch dieses in der Masse so kulturlose Volk zur Einsicht komme, uns Soldaten aber Gott den Sieg verleihe.
So grüße ich sie nun von Herzen
Ihr Eugen Lingohr
Gruß auch an Hochw. Herrn Pfarrer, denn ich habe zu wenig Zeit und kann unmöglich an alle schreiben.